Ein feinfühliges Buch über Dankbarkeiten, das Leben und das Sterben.

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"Dankbarkeiten" von Delphine de Vigan hat heute meine vollste Aufmerksamkeit erhalten. Das Buch wird noch lange nachklingen und es ist eines meiner Highlights 2020. Michka hat Angst, weil sie Dinge verliert und Worte. Das große Verschwinden. Als es nicht mehr alleine weitergeht, zieht die alte Dame in ein Altenheim. Neben der zunehmenden Sprachlosigkeit plagen sie Albträume.

"Man muss kämpfen. Um jedes Wort. Jeden Zentimeter. Nichts aufgeben. Keine Silbe, keinen Konsonanten. Was bleibt, wenn die Sprache nicht mehr da ist?"

Der Alltag im Heim ist gewöhnungsbedürftig. Plötzlich stürmt man ihr Zimmer, weil man auf der Suche nach dem kleinen Jungen ist oder es wird einfach hinter ihr hergeräumt. Und warum hilft man ihr beim Duschen? Sie kann das doch noch ganz gut alleine!

Marie und Jérôme, ihr Logopäde, begleiten sie in ihren letzten Monaten sehr liebevoll und einfühlsam. Nach und nach verliert sie ihre Sprache. Verlorene Worte tauscht sie gegen Andere aus. Irgendwann wird das Schweigen immer größer. Bleibt noch genug Zeit, um "Danke" zu sagen? Vor Jahrzehnten hat ihr ein Ehepaar ganz selbstlos das Leben gerettet. Was sie auch immer wieder beschäftigt ist Jérôme's Verhältnis zu seinem Vater. Sie bohrt in der Wunde, spürt, was ihn bewegt. Da ist der Altersscharfsinn.

Ein unfassbar gutes und feinfühliges Buch! Hilflosigkeit, Trauer, Scham, Reue, Glück und Freude haben sich beim Lesen Raum verschafft. Das Verlorene hat Platz gemacht für wundervolle Taten am Ende der Geschichte. Ein Erzählstil, der den Blick auf das Wesentliche gerichtet hat. Und auch wenn man sich denken kann wie es zu Ende geht, ist der Schluss wunderbar ruhig und unaufgeregt und sehr gelungen. Ein sehr schönes Buch über das Älterwerden und das Sterben. Verpackt mit viel Liebe und Zuneigung.