Ein kleines Juwel ist dieser Roman.

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linda2020 Avatar

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Ein kleines Juwel ist dieser Roman.
Im Mittelpunkt steht Michka, eine ältere, sehr liebenswerte Dame, die früher einmal als Fotografin und dann als Lektorin bei verschiedenen Zeitungen gearbeitet hat. Eine intelligente, sehr belesene Frau, die immer auf sich selbst gestellt gewesen ist. Ihr Körper ist mit dem Alter zerbrechlich geworden, sie hat Angst zu fallen, dazu kommen Panikattacken, die einen Heimaufenthalt notwendig machen.
Ihre Freundin und einzig Vertraute ist die junge Marie, die sich rührend um sie sorgt und Michka bei sich aufnehmen möchte. Für Michka kommt das überhaupt nicht in Frage, sie will niemandem zur Last fallen. Die beiden Frauen sind eng miteinander verbunden: Michka hat Marie beigestanden, als deren Mutter mit ihr, einer kleinen Tochter, völlig überfordert gewesen ist, sie hat sie vernachlässigt, ist tagelang in Depressionen versunken und hat sich nicht kümmern können. Michka dagegen ist immer für Marie da, sie wohnt im selben Haus, empfängt sie mit offenen Armen und wird ihre Lebensretterin. Auch später, als Marie längst erwachsen ist und mit Problemen zu kämpfen hat, steht Michka ihr im Krankenhaus zur Seite.
Im Alter steht Marie dann ihr zur Seite, vor allem als es darum geht, ein Pflegeheim zu finden. Dort lernt Michka den Logopäden Jérôme kennen, der mit ihr arbeitet und schnell fasziniert ist von der alten Dame. So zerbrechlich sie auch ist, erkennt sie sofort, dass er mit seinem Vater ein Problem hat und redet ihm gut zu, den Kontakt wiederaufzunehmen. Auch für Marie ist sie eine Hilfe, denn Marie ist schwanger, wird das Kind allein großziehen müssen und überlegt einen Moment lang, ob sie nicht, wie ihre Mutter damals, damit überfordert sein wird. Auch hier greift Michka behutsam ein und hilft ihr bei der Entscheidung, das Kind zu behalten. Soweit die Geschichte – Dankbarkeiten sind bereits bis hier zu erkennen. Denn Marie, Michka und Jérôme sind einander voller Dankbarkeit zugetan.
Michka dagegen sucht eine Familie, der sie unbedingt noch ihren Dank aussprechen muss, bevor sie stirbt. Doch bisher hat sie das Ehepaar nicht finden können, selbst eine Suchanzeige im Figaro und Le Monde hat nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Erst Jérôme kann die zielführende Spur aufnehmen ….
Die Geschichte wird abwechselnd aus der Perspektive von Marie und Jérôme erzählt, faszinierend ist dabei die Tatsache, dass Michka, die unter Aphasie leidet und mit zunehmendem Alter nicht mehr die richtigen Wörter findet, urkomische Ersatzwörter findet. Zum Beispiel sagt sie in genau dem Ton in dem man „okay“ sagen würde: „Oje“. Berührend ist die Sicht auf das Alter. Delphine Vigan gelingt es hervorragend, die Welt von Michka zu erzählen mit allen Abgründen, aber auch Zärtlichkeiten, das klappt daher so gut, weil es zwei junge Menschen sind, die sich regelrecht verliebt haben in die gebrechlich gewordene Michka, die in ihrem Leben viel Leid erfahren hat und doch noch jemandem danke sagen will. Der Leser verliebt sich in alle drei, in Michka, Marie und Jérôme, und bleibt voller Dankbarkeit zurück.