Französische Melancholie übers Altern

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Es gibt Bücher, die liest man bis der Becher leergetrunken ist ... und dann noch weiter, weil man sich einfach nicht davon losreißen kann. "Dankbarkeiten" von Delphine De Vigan, in der Übersetzung von Doris Heinemann, ist für mich so ein Buch.

De Vigan erzählt in einer sehr feinfühligen Sprache vom Altern (De Vigan nennt es "reduziertes [...] Leben") mit all seinen körperlichen und geistigen Herausforderungen, vor allem aber von (Mit-)Menschlichkeit, Empathie, Versäumnissen und Dankbarkeit.

Der stetige Sprachverlust von Michka wird sehr eindrucksvoll in den kurzen Dialogen mit Marie bzw. Jerome dargestellt, besonders im Vergleich mit Michkas Träumen ohne diese Makel. Überhaupt werden die Figuren und ihre Geschichte erst durch diese Dialoge für den Leser greifbar - und so empfindet man Seite um Seite Empathie und gleichzeitig die immer stärker werdende Dringlichkeit Michkas, zutiefst empfundene Dankbarkeit noch ausdrücken zu können.

Manchmal bin ich erstaunt, wie französische Literatur immer wieder mit einer beeindruckenden Leichtigkeit Melancholie ausdrücken kann; De Vigan schafft das auch, ohne kitschig zu werden und ohne in Hoffnungslosigkeit zu verfallen. Ein kleines, ruhiges Buch voll mit Anstupsern fürs eigene Leben.