Sich dem Verlieren entgegenstellen

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emmmbeee Avatar

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Die bisher selbständige, unabhängige Michka muss sich den geistigen Gebrechlichkeiten des Alters stellen. Dass sie so vieles zu verlieren scheint, bereitet ihr tiefe Ängste. Vor allem sind es Wörter, die ihr abhandenkommen. Das Leben im Seniorenheim mit all seinen Neuerungen fordert sie zusätzlich. Zum Glück kümmern sich zwei junge Leute liebevoll um sie und helfen ihr, einen letzten grossen Wunsch zu erfüllen. Denn Dankbarkeit zu übermitteln, gerade jenen Menschen, die ihr einmal entscheidend geholfen haben, ist Michkas tiefstes Bedürfnis.
Dankbarkeit ist ein problematisches Thema, mit dem wohl schon jeder konfrontiert worden ist. Besonders dann, wenn man dankbar sein MUSS. Hier aber will ein alter Mensch seine Dankbarkeit ausdrücken DÜRFEN.
Immer wieder taucht Delphine de Vigan in die Untiefen der Menschen, in ihre Schwierigkeiten mit dem sozialen Leben, mit sich selbst. Die Leben und Schicksale verschiedener Personen werden vor dem Leser aufgerollt, zarte Fäden werden gesponnen, Sympathien sanft gefördert. Dass abwechselnd aus der Sicht der beiden jungen Helfer Marie und Jerome erzählt wird, hat mir sehr gefallen. Dankbarkeit und Verlust, beide Themen gehen sehr nahe und berühren vor allem Senioren wie mich, bei denen auch schon so manches zu verschwinden scheint… Der Roman zeigt auch deutlich, wie wichtig Anteilnahme ist, allen Menschen gegenüber.
Vigans Übersetzerin Doris Heinemann versteht es, die gepflegte, bilderreiche Sprache der Autorin ins Deutsche zu übertragen und dabei die Spannung zu erhalten, was ja hauptsächlich zum Erfolg eines fremdsprachigen Buches beiträgt. Angenehm finde ich das Lesebändchen, treffend das eine Wort als Buchtitel. Ein positives Zeichen setzt die fröhliche Fotografie auf dem Titelbild.
Danke, Madame Vigan, für Ihr neuestes Werk!