Augenöffner

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
lightdancer Avatar

Von

So gut mir das Buch auch gefallen hat (immerhin habe ich die 406 Seiten an einem halben Sonntag gelesen gehabt), so mußte ich dennoch die Geschichte erst setzen lassen, um eine Rezension schreiben zu können. Ich bin zwar heute noch immer nicht sicher, ob ich all das in Worte fassen kann, was mich beim Lesen bewegte, aber ich wage mich einfach einmal heran.

Sara Gruen weiß mit dem Herzen zu schreiben und anhand ihres Nachworts weiß ich, dass sie selbst in einem Affen-Sprachlabor war, und einige ihrer eigenen Erfahrungen in das Buch eingebracht hat.

Von Anfang an fühlt man, dass dies mehr als eine erfundene Story ist. Vor so manchen Dingen verschließt man gerne die Augen und ich nehme mich dabei nicht aus. Man "weiß" um die Grausamkeiten, die nicht nur Affen, sondern allen Versuchstieren angetan wird, und doch neigt man dazu solche Dinge zu übersehen. Sara Gruen läßt dies nicht zu! Sie öffnet einem unbarmherzig die Augen. Die sechs Bonobos werden so klar "gezeichnet", dass man sie nicht nur vor sich sieht, sondern auch der Meinung ist, dass man sie schon lange kennt. Bonzi, mit ihrem Wissensdrang und ihrer Begabung mit Lexigrammen umzugehen und genau das zu äußern, was die gesamte Gruppe wünscht. Jelani, der in der Gruppe integriert ist, aber doch noch als "Halbwüchsiger" gilt und in manchen Situationen einfach nicht weiß, wie er reagieren soll. Makena, die trächtige Bonobo-Dame, die verzweifelt nach Isabel verlangt, als ihre Niederkunft kurz bevorsteht. Mbongo, der die "Monsterjagd" so liebt und beleidigt auf John Thigpen ist, der das Spiel nicht verstanden hatte. Sam, das charismatische Alpha-Männchen und letztendlich das Jüngste, dessen Namen sich mir leider nicht eingeprägt hat.
Die Unterhaltung Mensch-Bonobo geht recht glatt mittels ALS, eine Gebärdensprache. Anhand der Reaktionen seitens der Affen erkennt man deutlich, dass sie nicht dressiert sind, sondern durchaus auch ihre Launen haben und diese artikulieren können.

John Thigpen, ein Journalist, darf die Affen besuchen, denn - und das war eine Voraussetzung - die Bonobo-Gruppe hatte zugestimmt, und bekommt wundervolle Eindrücke von ihnen, die ihn sprachlos machen. John hat allerdings auch gute Vorarbeit geleistet und für alle Rucksäcke vorbereitet, bis an den Rand gefüllt mit  Spielsachen und Leckereien. Bonzi liebte ihn dafür und signalisiert "Kuss, Kuss, Bonzi Lieben", während Mbongo von John enttäuscht ist, weil er einfach "Monsterjagd" nicht verstanden hatte.
Die Affen wirken beinahe wie Menschen. Sie lieben Fernsehen, besonders, wenn Isabel oder Celia (eine Assistentin) um Macciatto für die Gruppe fahren, wollen sie "live" dabei sein und es muß alles gefilmt werden. Sie stehen auf Schokolinsen und Milch mit Zucker, sie spielen wie Kinder, turnen an Klettergerüsten herum, bauen aus Decken ihre "Nester". Und - was stark hervorgehoben wird und den Bonobos letzendlich auch irgendwie zum Verhängnis wird - haben in jeder Lebenslage Sex.
Als Isabel bei einem Bombenattentat auf das Labor schwer verletzt wird und wochenlang im Spital liegt, werden die Bonobos zunächst mittels Narkosegewehren von den Bäumen geholt und "aus Sicherheitsgründen", weil alle Beteiligten des Sprachlabors von einer Gruppe Extremisten, die sich ELL nennt, bedroht werden, verkauft. Isabel ist enttäuscht und wütend, dass Peter, dem sie das Versprechen abgenommen hatte sich gut um die Affen zu kümmern, sich nicht daran gehalten hat und selbst ihr Fisch zu Hause tot im Aquarium schwimmt, ihre Pflanzen alle verdorrt sind.
Als dank Celia immer mehr ans Licht kommt, verschließt sich Isabel verängstigt zu Hause ein. Doch das Wissen, dass die Affen möglicherweise an ein Biocenter verkauft worden sind und nun unsägliche Qualen leiden müssen, bringt eine enorme Willenskraft in der jungen Wissenschaftlerin hervor. Isabel wächst über sich hinaus.

Der Journalist hingegen kämpft mit ganz anderen Problemen. John wird von einer anderen Journalistin ausgebootet, wird von seiner Chefin in eine Abteilung abgerufen, in der er sich mit Obdachlosen herumtreiben muß und dabei mit Stinktieröl besprüht wird, mißt Schlaglöcher aus und muß bei alleinerziehenden Müttern, die sich als Prostituierte über Wasser halten müssen, verdeckt recherchieren. Irgendwann reicht es ihm und er kündigt. Seine bis dahin depressive Ehefrau Amanda steht von einem Tag zum anderen wieder voll im Leben und bekommt einen Job in L.A. Dort erlebt sie eine völlig andere Welt - nämlich die der Reichen und Stars.

Der Kontrast - die Natürlichkeit der Affen und die Überheblichkeit der Menschen, die mit nichts zufrieden sind und daher ständig ihr Leben und vorallem ihren Körper verändern müssen - sticht krass hervor. Da fragt man sich dann schon wer wohl der "klügere" ist - Mensch oder Affe.

Meine Hoffnung, dass der "Spielbereich" des Buches sich auf das Sprachlabor bezieht, wurde zertrümmert. Der Titel lag für mich klar in diesem Gebiet. Doch es kommt ganz anders, als man denkt. Die Affen, die so verzweifelt von Isabel gesucht werden, tauchen in einer Realtity-Show wieder auf, alleine, auf sich gestellt und - nachdem die Einschaltquoten im Keller waren - durch grausame Einmischungen, die aber ganz anders ausgehen als vom Team beabsichtigt.
Die Mischung - Beobachtungen der Bonobos und das Privatleben der Protagonisten - ist durchaus gelungen und gipfelt schließlich in einem Art Thriller. Okay, manche Dingen sind manchmal vorhersehbar, dennoch stört das in keiner Weise den Lesegenuß.

Fazit:
Ein Buch, welches man so schnell nicht mehr aus den Hängen legt und die Augen für Dinge öffnet, die man gerne übersieht. Nun liegt es wohl an mir, dass ich mir das vorhergehende Buch _Wasser für die Elefanten_ besorge, um zu sehen, wie mir dieses gefällt.