Das Dorf ist überall

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ute54 Avatar

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Beim Anblick des Covers habe ich gleich an Jan Fedder gedacht in seiner Rolle als tüffeliger Bauer in der Fernsehserie „ Neues aus Büttenwarder“. Dazu passen die ihm eigenen schmutzigen Gummistiefel. Das aufrüttelnde Signalrot der Beschriftung und speziell der saubere, rote Gummistiefel beziehen sich wohl auf die Neuzugezogenen.
In seinen Ausführungen zum Befinden auf dem Lande stützt sich Vedder auf seine Erfahrungen als Kind im “gebirgichten“ Westfalen, wo jeder, der nicht der gesellschaftlichen Norm entsprach, ausgrenzt und gehänselt wurde.
Als Städter aus München berichtet er vom Wohnen am Ammersee, wo tradierte Werte gelebt werden von der reichen, ehemaligen Münchner Schikeria.
Ich denke, beides sind nicht unbedingt repräsentative Beispiele. Wir sind an einen ländlichen Ort, 40Km von der Großstadt Hamburg entfernt, gezogen. Vieles wird dort von einem provinziellen Geist und einer paternalistischen Autoritätsstruktur beherrscht, jedoch nicht in dem von Vedder angeprangerten Maße.
Der Autor bezieht sich in seinem Exkurs auf die Landflucht der Rechten und Linken, erklärt aber, dass viele “normale“ Familien ihren Kindern ein naturverbundenes und unbeschwertes Leben gönnen wollen, obwohl es für die Eltern, ehemals Bewohner in der großstädtischen Anonymität, nicht immer einfach ist., den sozialen Normen und dem damit verbundenen Druck standzuhalten, denn soziale Harmonisierung wird gefordert.
Auf dem Lande herrscht die Devise: Ich darf, was ich wollen soll.
Vedders Haltung dem dörflichen Geist gegenüber ist sehr negativ, und er glaubt zu wissen, dass das Dorf mittlerweile überall ist.
Auf S.101/102 schreibt er:“ Das Leben auf dem Lande zeigt, welchen Preis eine Gesellschaft zu zahlen droht, die ihren Zusammenhalt in einer wertegestützten Gemeinschaft finden will: autoritäre Herrschaft und Hypermoral, Verachtung der liberalen Gesetze und Institutionen, Reinlichkeitsideologien und Verekelung der anderen, ihr Ausschluß und ihre Entrechtung, Heuchelei – und Gewalt“.
Meist verwendet der Autor den elaborierten Code in seine Ausführungen und untermalt diese, sehr gut recherchiert, mit Exkursen auf, zum Beispiel, Philosophen wie Adorno, Heidegger, Habermas, Sartre, Camus... . Dazu finden wir in den “Anmerkungen“ 109 Literaturverweise. Und das bei 144 Seiten Text!
Das Werk hat mir viele Denkanstöße geliefert, besonders auch die historischen Exkurse.
Es sollte aber nur von Personen gelesen werden, die mit einer analytischen Distanz an die Sache herangehen.