Feldstudie

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern
murksy Avatar

Von

Der Autor dieses Essays, der durch seine Kürze schnell zu lesen ist und meiner Meinung alleine deshalb den recht hohen Preis nicht rechtfertigt. Aber dies nur am Rande. Das eigentliche Thema soll der Inhalt des Buches sein, seine Abrechnung mit dem Landleben und seiner gesellschaftlichen Verortung. Auf dem Lande aufgewachsen, mit allerlei negativen Erfahrungen, die aus psychologischer Sicht einen Großteil der Abneigung mit dem Landleben ausmacht, beschreibt Vedder seine Flucht aufs Land an den Ammersee und seine Fehleinschätzung der Idylle. Man mag das zunächst als naiv ansehen, die Beschreibung der Bevölkerung als Idioten nicht ohne Recht als Frechheit, doch in vielen Punkten trifft er mit seinen teils philosophisch verstärkten Feststellungen ziemlich genau die Wesenheiten des Landlebens. Wobei das zu kurz greift. Vielmehr sollte man von Gemeinschaften sprechen, die es in jeglicher Form und in jeglicher geografischen Beziehung gibt. Beginnend bei den Steinzeit, dem geschützten Leben in kleinen Gruppen in Höhlen, über die Forts im Wilden Westen, die umzäunten Dörfer in der afrikanischen Savanne bis zu den Preppersiedlungen in Amerika, der Wunsch nach Gemeinschaft und Geborgenheit ist ein genetisches Erbe. Illusorisch und verträumt ist der Glaube, dass ein freies Leben als Individuum neben anderen möglich ist, ohne die Regularien eben einer Gemeinschaft, in welcher Form auch immer. Schon Udo Jürgens besang schon das ehrenwerte Haus, in dem das Anderssein angeprangert wurde. Die apokalyptischen Zombieserien im Fernsehen sind eine Analogie: drinnen hinter dem hohen Schutzzaun die Gemeinschaft, die überleben will, draußen die Anderen, die Bösen, die Störer. Ich bin selbst auf einem Dorf aufgewachsen, lebe mittlerweile wieder auf dem Lande. Vieles was der Autor beschreibt, kenne ich zur Genüge. Vermutlich las sich das Buch für mich so leicht, oft habe ich beim Lesen Gedanken gefasst, die kurze Zeit später im Buch auftauchten. Auch habe ich mein geschüttelt Maß an Erfahrungen gemacht. Eine kleine Anekdote dazu: als wir wieder aufs Land zogen habe ich unterm Dachboden eine Pflanzenlampe für meine Sämlinge und Orchideen gestellt. Wie ich Wochen später erfuhr, wurden wir dadurch zum Gesprächsthema. Drogenanbau oder Rotlichtgewerbe standen zur Diskussion. Ja, wer anders ist, neu ist, sich nicht anpasst und sich beim Feuerwehrfest blicken lässt, gehört nicht dazu und wird beobachtet. Das ist regional und strukturell unterschiedlich. Ein alteingesessenes Bergdorf nimmt Neuankömmlinge auch nach Jahrzehnten nicht wirklich auf. Neubausiedlungen mit viel Zuzug sind dort offener. Und ja, natürlich sind kleine Gemeinschaften Rückzugsgebiete für Extreme, egal ob rechts oder links. Was aber nicht heißt, dass das überall so ist. Der alte Spruch „Hast Du eine Kuh, wählst du CDU“ stimmt nicht mehr (überall). Natürlich verfangen in einer landwirtschaftsgeprägten Umgebung solidarische Bauernproteste gegen die da oben und das System, das nicht wertschätzt, eher, als in einer Gemeinschaft, die aus Pendlern besteht. Haben wir uns angepasst an unsere Umgebung? In Teilen ja. Funktioniert auch nicht anders. Eine solidarische Gemeinschaft beruht auf einem Zusammenleben. Der ideelle Freigeistglaube an eine Welt ohne Regeln ist absurd. Die Coronaregeln, um dieses Beispiel aus dem Buch aufzugreifen, waren im Nachhinein oftmals überzogen. Nur, wer konnte das damals beurteilen? Immer neue Mutationen, eine unklare Wirksamkeit einer Impfung, ein ungewisser Verlauf zwangen zu Maßnahmen. Heute schimpfen viele über die Isolation, die Nachteile für Kinder und Familie. Richtig, aber richtig ist auch, dass wir ein relativ harmloses Virus hatten. Eine höhere Sterblichkeit und dann wären die Maßnahmen zu gering gewesen. Man kann über und gegen alles schimpfen. Doch mit der Generalabrechnung gegen das Landleben springt der Autor viel zu kurz. Dass das Landleben idealisiert wird, ist keine Frage. Wer aber einmal durch eine der Slums einer zig-Millionenmetropole gefahren ist, der weiß auch, dass eine Verstädterung auch keine Lösung sein kann. Das Argument der Zeitersparnis für Pendler und die Einsparung an CO2, die der Autor anbringt, wird alleine durch die täglichen Staus in Los Angeles und anderen Metropolen ad absurdum geführt. Hier pendeln Menschen für wenige Kilometer von einem Stadtteil in den nächsten und brauchen dafür Stunden. Eine Verortung des Landlebens, in welche Richtung auch immer, liegt zugleich immer richtig und falsch. Alle über einen Kamm zu scheren, ist genauso unsinnig, wie die Romantisierung des täglichen Einsammelns der frisch gelegten Eier. Der Mensch ist kein Einzelgänger, muss aber versuchen, seine eigene Identität zu leben. Ein Spagat, der genauso schwer ist, wie die Quadratur des Kreises. Das Buch von Björn Vedder ist teilweise eine gute Analyse, leider auch eine teilweise übertriebene Abrechnung und auf jeden Fall nie gerecht. Den einst ist gewiss, dem Menschen kann man es nie richtig machen, egal wie viel Freiheit man im zugesteht oder welche Wahlmöglichkeiten er hat. Und zu guter Letzt, das Ammerseegebiet eignet sich denkbar schlecht als Bezugsmaßstab.


Dies ist eine Privatrezension ohne KI erstellt. Es bestehen keine Beziehungen zu Autor oder Verlag. Eine Kopie oder Wiedergabe auch in Teilen unterliegt dem Urheberrecht.