Wunderbar wienerisch

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juma Avatar

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Das erste Buch, das ich von Oliver Pötzsch erhielt, gleich ein Volltreffer. Ich habe mich viele Stunden gut unterhalten gefühlt und mich teilweise köstlich amüsiert. Zur Geschichte: sie spielt im Wien der K.u.K.-Monarchie im Jahre 1893. Schon das wäre für mich fast ein Ausschlusskriterium gewesen, denn Dialekte verstehe ich sehr schlecht (Berlinerin) und historische Kriminalromane sind eigentlich auch nicht mein Fall. Aber trotzdem, ich habe losgehört und war einfach nur hingerissen. Hans Jürgen Stockerl liest diese Story so gekonnt, man könnte meinen, er wäre nicht nur ein Sprecher sondern zehn. Außerdem ist das Wienerische nicht so dialektbetont gesprochen, dass ich es als Berliner nicht auch verstehen konnte. Es kommt also Leopold von Herzfeldt aus Graz in die Metropole, ehemals Untersuchungsrichter (mit etwas Dreck am Stecken, wie sich rausstellt), wird dieser nun bei der Polizei als Inspektor Dienst tun. Dummerweise hält er sich weder an die Hierarchien noch an die Gepflogenheiten seiner Kollegen und Vorgesetzten und eckt von Anfang an richtig an. Hinzu kommt, er ist jüdischer Abstammung, auch das ist nicht für alle Kollegen eine Freude, der Antisemitismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts treibt schon fleißig Blüten. Die Morde und Todesfälle, mit denen Herzfeldt es zu tun bekommt, sind absonderlich und nicht in Schubkästen zu legen. Er lernt auf dem Wiener Zentralfriedhof den ungewöhnlichsten Totengräber von Wien kennen, Augustin Rothmayer, der Herzfeldt am Anfang gehörig den Nerv raubt. Aber es stellt sich heraus, Rothmayer hat verborgene Talente, er ist klug und belesen und schreibt ein Buch der Totengräber. Sehr nett die Idee, einzelne Kapitelanfänge mit seinen Erkenntnissen zu schmücken. Herzfeldt lernt bei der Polizei auch die Telefonistin Julia kennen, eine junge Frau mit Interesse fürs Fotografieren und mit jeder Menge Geheimnissen. Im Verlauf des Buches werden die beiden ein ermittelndes Dreamteam, fliegen aus der Polizei raus und klären doch alle Fälle auf. Ich will niemandem den Spaß an diesem Buch nehmen und erzähle über die Fälle und ihre rasante Aufklärung nichts.
Nur eins fand ich etwas übertrieben, der Showdown war für meine Ohren etwas laut und quietschend geraten, aber nach vollzogener Mörderjagd wurde es dann wieder "ruhiger".
Mir hat am Buch besonders gefallen, dass es nicht nur der reine Kriminalfall war, der aufgeklärt werden musste, sondern dass ein regelrechtes Gesellschaftspanorama gezeigt wurde. Wer weiß denn heue schon, wenn er nicht gerade Geschichte als Hobby oder Beruf hat, wie das Leben und Treiben um die Jahrhundertwende war. Aus unserer heutigen Sicht nun auch nicht gerade alles erstrebenswert, was sich da so an Abgründen auftut.