Der typische Seethaler-Sound

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Robert Seethaler kehrt mit „ Das Café ohne Namen“ in seine Geburtsstadt Wien zurück. Hier hat er schon seinen erfolgreichen Roman „ Der Trafikant“ angesiedelt und hier steht das titelgebende Café.
Im Viertel um den Karmelitermarkt, „ eines der ärmsten und schmutzigsten in Wien“ entdeckt Robert Simon im Spätsommer 1966 ein heruntergekommenes Lokal, das zur Pacht angeboten wird . Er will es wagen und nach sieben Jahren Gelegenheitsarbeit auf dem Markt was Eigenes aufbauen. Vom Fach ist er nicht, aber zupacken kann er und vor Herausforderungen ist er noch nie zurückgeschreckt.
Leicht wurde ihm in seinen bisher einunddreißig Jahren nichts gemacht. Sein Vater kommt aus dem Krieg nicht mehr nach Hause und die Mutter stirbt drei Monate nach der Nachricht vom Heldentod an einer Blutvergiftung. Er kommt zu den Barmherzigen Schwestern in ein Haus für Kriegswaisen. Mit fünfzehn verlässt er die Schule, versehen mit den notwendigen Grundkenntnissen. Das und seine freundliche und entschlossene Wesensart müssen ausreichen für sein Vorhaben.
Nach Wochen voller Plackerei ist es soweit. Simon kann sein Café am Markt eröffnen. Die Karte ist nicht groß: zum Trinken gibt es Kaffee und Limonade, Soda und Bier, sowie Wein, rot und weiß; zum Essen Schmalzbrot mit oder ohne Zwiebel, Gurken und Salzstangen. Und die Gäste lassen nicht lange auf sich warten. Im Verlaufe der Zeit gibt es ein treues Stammpublikum, Marktbetreiber und Schichtarbeiter, Fabrikmädchen und kleine Angestellte. Bald braucht Simon Hilfe. Da passt es gut, dass die nunmehr arbeitslose Näherin Mila vor dem Café ohnmächtig vor Hunger umfällt. Mit ihr hat Simon eine tüchtige und zuverlässige Mitarbeiterin gefunden. Auch nach ihrer Hochzeit mit einem der Stammgäste steht ihm Mila weiter bei.
Es sind Jahre voller Arbeit, viele Stunden jeden Tag, sechs Tage die Woche, immer auch in Sorge um das wirtschaftliche Überleben. Doch Simon liebt seine Arbeit und seine Gäste. „ Simon musste lächeln, wenn er an all die verlorenen Seelen dachte, die sich jeden Tag in seinem Café zusammenfanden.“
Diese Stammgäste portraitiert Robert Seethaler grandios. Er braucht nur wenige Sätze und Szenen, um die Figuren lebendig und unverwechselbar zu machen. Da gibt es z.B. Simons langjährigen Freund, den Fleischermeister Johannes Berg, der sich fürsorglich um seinen alten Vater kümmert und kaum mehr weiß, wie er seine immer größer werdende Familie unterhalten soll. Oder die üppige Käsehändlerin Heide Bartholome, die eine verrückte Liebe mit dem treulosen Maler Mischa verbindet. Auch Milas Ehe mit dem Ringer Renee vom Heumarkt hat seine Höhen und Tiefen.
Dazwischen belauscht man immer wieder zwei ältere Frauen an ihrem Stammplatz im Café. Sie wissen den neuesten Klatsch und Tratsch und geben ihre im Laufe des Lebens gewonnenen Weisheiten zum Besten. „ Schmerzen sind bloß kleine Bosheiten des Lebens. Richtig schlimm wird es erst, wenn du sie nicht mehr spürst.“ und auf den Ratschlag, weniger auf das Äußere zu achten, kommt die Reaktion „ Bei den meisten gibt das Innere auch nicht viel her.“
Am stärksten aber berührt die Hauptfigur Robert Simon. Er ist genügsam, freut sich an kleinen Dingen. Glück bei den Frauen ist ihm allerdings nicht vergönnt. Die Liebe zu der jungen Jascha aus Jugoslawien ist kurz und unklar. Beständig bleibt dagegen die Beziehung zu seiner Zimmerwirtin, einer Kriegerwitwe. Sie unterstützt und ermutigt ihn und als sie alt und verwirrt ist, besucht Simon sie wöchentlich im Heim.
Simon ist ein Pragmatiker, der Rückschläge klaglos hinnimmt. Als ihm nach zehn Jahren der Pachtvertrag gekündigt wird, feiert er noch ein großes Fest mit seinen Stammgästen und schließt das Café.
Es sind alltägliche, meist wenig spektakuläre Schicksale, die Robert Seethaler in seinem Roman ausbreitet, Portraits von den sog. „ kleinen Leuten“. Die Weltgeschichte und das Zeitgeschehen werden nur im Hintergrund angedeutet. Da heißt es von einem ehemaligen Nazi, er habe „ sein Hakenkreuz mit der Rohrzange zum Jesuskreuz umgebogen“. Einem anderen erscheint der Einsturz der Reichsbrücke 1976 als Zeichen für den endgültigen Untergang des alten Österreichs. Der Aufbau des kriegszerstörten Wien wird nur an einzelnen Details angedeutet.
Denn dem Autor geht es weniger um ein Gesellschaftsportrait, sondern um eine Haltung dem Leben gegenüber. Scheitern und weitermachen, seinen Platz im Leben finden, anderen mit Liebe und Güte gegenübertreten.
So ist „ Das Café ohne Namen“ trotz seiner melancholischen Grundstimmung ein positives Buch. Dies zu vermitteln gelingt Robert Seethaler mit seinem ganz eigenen Sound: eine ruhige Erzählstimme und eine schnörkellose und unsentimentale Sprache.
Auch wenn sein neuester Roman nicht an mein absolutes Lieblingsbuch von Robert Seethaler „ Ein ganzes Leben“ heranreicht, so habe ich ihn doch sehr gerne gelesen.