Ein Stück altes Wien

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Robert Seethaler hat mich mit seinen Romanen „Der Trafikant“ und „Ein ganzes Leben“ begeistert. Er lässt eine vergangene Welt auferstehen, setzt den „kleinen“ Menschen ein Denkmal, lässt mich als Leserin eintauchen in eine Geschichte, die noch gar nicht so lange vorbei ist und sie fühlen und verstehen. „Das Feld“ hat mich dann leider ziemlich enttäuscht, aber einmal wollte ich es noch probieren mit einem neuen Roman aus der Feder des Autors.
Wir schreiben das Jahr 1966, Robert Simon, der jung beide Eltern verloren hat, im Heim aufgewachsen ist und sich als Gelegenheitsarbeiter durchgeschlagen hat, macht seinen Traum wahr. Er eröffnet ein Café, das bis zum Schluss das Café ohne Namen sein wird. Es liegt gleich in der Nähe des Karmelitermarktes in der Leopoldstadt. Heute ist diese Ecke eine beliebte Gegend, gentrifiziert, voll mit netten Lokalen, auch der Markt ist hipp. Doch zur Zeit des Romans ist es ein armer Bezirk mit einfachen Menschen. Kleine Händler, Fabrikarbeiterinnen, einsame alte Kriegerwitwen, …
Unaufgeregt und ruhig erzählt Robert Seethaler vom Treiben rund um das Café, wie es Robert Simon geht, wer seine Gäste sind, was sie ausmacht. Keine großen Helden werden hier porträtiert, es sind die ganz normalen, nicht privilegierten Einwohner einer Stadt, die wieder auf die Füße kommt, den Krieg hinter sich lassen will.
Ich habe selber lange in Wien gelebt, mag diese Ecke sehr gerne, in der der Roman stirbt und fand es schön, dieses Stück Vergangenheit, das noch gar nicht so lange her ist, vor meinen Augen lebendig werden zu lassen. Was mir bewusst wurde, wie nah der Krieg noch war Ende der 60er Jahre. Wie sehr er noch Teil der Menschen war. Und ich mochte sehr, wie der Autor den Alltag schildert, die Stimmung im Café, auf dem Markt.
Mit diesem Roman schließt Robert Seethaler wieder an seine Erzählweise an, die mich in seinen vorhergehenden Romanen begeistert hat. Ganz kommt „Das Café ohne Namen“ aber nicht an die Intensität von „Der Trafikant“ und „Ein ganzes Leben“ heran. Dennoch sehr lesenswert!