Eine Millieustudie, die einen packt

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Inhalt: Simon eröffnet im Wien der 1960er Jahre ein Cafe, obwohl er keine Erfahrung in der Gastronomie hat. Bisher hat er sich mit diversen Gelegenheitsjobs auf dem Wiener Karmelitermarkt über Wasser gehalten und führt ein bescheidenes Leben. Die Gäste seines Cafes gehören den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Schichten an und bieten eine Menge Stoff für unterhaltsame Szenen aus dem Alltag.

Leseeindruck: Cafe ohne Namen ist ein sehr kurzweiliger Roman. Das Cafe selbst bildet den Dreh- und Angelpunkt aller Geschichten und führt die einzelnen Fäden zusammen. Es ist Schauplatz ziemlich aller Ereignisse und dient als abwechslungsreiche Kulisse für die Handlung. Auch der Protagonist Simon fügt sich dem Rhythmus des Cafes, egal ob es sich nun um seinen Tagesablauf oder den gesamten Ablauf eines Jahres handelt. Simon ist ein Typ von nebenan, der mit seiner Unauffälligkeit glänzt. Andere Charaktere mögen vielleicht auffälliger oder charakterstärker sein, aber genau durch seine Unaufgeregtheit trägt er die Geschichte auf besondere Weise. Der Roman lässt sich sehr zuügig lesen, da die Kapitel doch recht kurz sind und auch die eigentliche Handlung sehr überschaubar ist, denn der Roman wird vielmehr durch die Atmosphäre des Alltäglichen getragen als durch eine aufregende Handlung. Genau deshalb wollte ich das Buch wahrscheinlich auch recht zügig beenden, da mich doch die Neugier getrieben hat, welchen weiteren Verlauf der Alltag der Figuren nehmen wird. Man kann große und kleine Dramen miterleben, die doch jedes Leben auf irgendeine Weise prägen.

Die Charaktere sind alle sehr unterschiedlich und wären sich sicher ohne das Cafe in den seltesten Fällen über den Weg gelaufen, aber man merkt allen an, dass sie authentisch sind, kein einziger wirkt fehl am Platz oder überzeichnet. Die feine Darstellung dieser Normalität zeugt von einer guten Beobachtungsgabe des Autors. Es ist toll mitanzusehen, dass zwischenmenschliche Themen so abwechslungsreich aufbereitet werden. Es geht um Liebesbeziehungen, Freundschaften, das Älter werden, persönliche Träume aber auch ums Scheitern. Eine Mischung, die sehr gelungen ist und bei der man sich in so manchen Situationen sicher selbst wiedererkennen kann.

Lieblingsnebencharakter: Ich mag mich überhaupt nicht festlegen, denn in diesem Roman tauchen sehr viele Charaktere auf, die die Geschichte auf besondere Weise prägen oder einfach eine unerwartete Entwicklung nehmen. Besonders ins Herz geschlossen habe ich Mila, die einfach eine treue und ehrliche Seele ist und ohne die Simon sicher nicht so weit gekommen wäre. Aber auch seine Vermieterin die Kriegerwitwe hat einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen, da auf sie das Sprichwort: „Stille Wasser sind tief“ zutrifft. Ohne viel Aufhebens steht sie Simon mit Rat und Tat zur Seite.

Fazit: Selten habe ich einen Roman gelesen, dessen Handlung so alltäglich ist und doch faszinierend genug um mich Seite für Seite zu fesseln. Eine wunderbare Gesellschafts- und Millieustudie, die durch synpathische Charaktere getragen wird. Sprachlich schön erzählt für jeden, der einfach am Alltag anderer Personen teilhaben und gemeinsam deren Träumen hinterherjagen will.