Liebeserklärung an’s Grätzl

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bücherfreund99 Avatar

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Robert Simon übernimmt Mitte der 60er Jahre ein altes Café in der Nähe des Karmelitermarktes in Wien. Mit Fleiß und Geschick befreit er das heruntergekommene Gasthaus von Schmutz und Staub der Nachkriegszeit. Er selbst erfüllt sich damit einen Traum, so wie viele der Menschen im Grätzl, dem Stadtviertel, die sich von dem beginnenden Wirtschaftswunder einen neuen Lebensplan erhoffen. Vorsichtiger Optimismus macht sich breit. ‚Man sollte immer ein bisschen mehr Hoffnung haben als sich Sorgen machen.‘ Unter diesem Motto macht sich Simon an sein Werk. ‚Er wunderte sich über die Begeisterung, die ihn überschwemmt und mitgerissen hatte, …‘
Schon bald kehren die unterschiedlichsten Menschen in sein Café ein, das keinen Namen hat. Das überschaubare Angebot kommt den einfachen Leuten im Viertel entgegen. So zählt Simon bald Fabrikarbeiterinnen, Handwerker, Spieler, Jahrmarktringer und einsame Menschen auf der Suche nach ihrem Liebesglück zu seinen Stammgästen. ‚Simon musste lächeln, wenn er an all die verlorenen Seelen dachte, die sich jeden Tag in seinem Café zusammenfanden.‘ Das Café ohne Namen als Ankerpunkt für geglückte und gescheiterte Lebensentwürfe, für ‚das richtungslose Dahintreiben in der Stadt, die sich langsam erholte und Stück für Stück aus dem Schutt erhob.‘
Seethaler erzählt vom Leben in diesem kleinen Kosmos, ohne dabei zu romantisieren. Robert Simon hat, so scheint es, mit dem Café ohne Namen ein Stück persönliches Glück gefunden‚ denn ‚jedes Mal, wenn er versuchte, sich ein anderes Leben vorzustellen, kam er zu dem Schluss, es mit seinem gar nicht so schlecht getroffen zu haben.‘
Aber die Zeiten sind einem stetigen Wandel ausgesetzt und auch für Simon steht wieder eine Veränderung an. ‚Irgendetwas, von dem er nicht wusste, was es war, begann sich in ihm abzulösen, so wie ein Brocken Erde, der langsam vom Ufer rutscht und vom Wasser fortgetragen wird.‘
Robert Seethaler ist ein faszinierender Roman gelungen. Was ihn zu einem wahren Lesegenuss macht, ist Seethalers Gespür für eine feine Sprache, mit der er die Geschichte des Cafés ohne Namen unprätentiös erzählt.
Eine schöne Geschichte vom Aufbruch, von der Suche nach glücklich machenden Lebensentwürfen. Ein echter Seethaler eben.