Unvorhersehbar wie das Leben selbst

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Robert Simon träumt davon, ein eigenes Café zu eröffnen. Er verdingt sich als Hilfsarbeiter, hat die Schule mit 15 Jahren verlassen und eine Kindheit als Waise hinter sich. Als das alte Marktcafé leer steht, sieht er seine Chance gekommen, seinen Traum zu verwirklichen. Und einige Zeit nach der Eröffnung begegnet er Mila, die seine neue Aushilfe wird. Darum dreht sich die Handlung in Robert Seethalers Roman „Café ohne Namen“, das schon über 30 Wochen in der Spiegel-Bestseller-Liste zu finden ist. Seethalers vorheriges Werk „Ein ganzes Leben“ ist zudem erst jüngst verfilmt worden und läuft seit November 23 im Kino.

Mila und Robert sind die beiden Hauptfiguren, aus deren Sicht das Treiben im Café geschildert wird. Wir begleiten sie durch die Jahre hindurch und sind mal mit Mila nah dran am Geschehen, mal mit Robert. Die Jahre vergehen. Die erzählte Zeit umfasst einen längeren Zeitraum von mindestens 10 Jahren und das Tempo der Erzählung schreitet mit großen Schritten voran. Wir erleben das Auf und Ab des Geschäfts und sehen, wie Robert versucht mit neuen Ideen, Kundschaft zu gewinnen. Normalität wird geschildert, wir lernen die Gäste mitsamt ihren Schicksalen kennen. Und wir sehen einen Alltag, wie man sich ihn heute gar nicht mehr so recht vorstellen kann: Eine Zeit, in der Fleiß und Aufstiegswillen ausreichten, um ein gutes Auskommen zu haben.

Durch die ständig wechselnde Kundschaft entsteht Abwechslung. Einige Stammgäste tauchen auch in regelmäßigen Abständen wieder auf. Und wir bekommen auf diese Weise Einblicke in verschiedene Leben, begleiten die Menschen aber nie allzu lang. Es gibt hitzige Gespräche. Unter dem Einfluss des Alkohols schaukeln sich die Emotionen oft hoch, manchmal kommt es zu Gewalt. Wir lernen auch schwierige Charaktere kennen. Einige Figuren werden von Schicksalsschlägen heimgesucht. Kurzum: Es wird im Roman keine heile Welt kreiert. Die gesamte Bandbreite menschlicher Gefühle kommt an vielen Stellen zum Ausdruck. Und auch die Charakterentwicklung von Mila und Robert kommt nicht zu kurz. Mila fügt sich gut in den Arbeitsablauf des Cafés ein und Robert agiert als nachsichtiger Arbeitgeber, der ab und zu auch einmal naiv und leichtgläubig erscheint. Auch die Liebe kommt nicht zu kurz. Mila lernt den Ringer René kennen und auch Robert verliebt sich.

Die Sprache ist schlicht gehalten, aber dafür elegant und eingängig. Das Buch liest sich flüssig und man fliegt durch die Seiten. Die Handlung ist ereignisreich, so dass es nicht langweilig wird. Ich habe mich zwar zwischenzeitlich gefragt, worauf das Ganze hinausläuft, es gibt keinen klaren, roten Faden, aber ich konnte mich darauf einlassen. Der Inhalt ist so unvorhersehbar wie das Leben selbst (was auch gut passt). Das menschliche Leben ist wie eine Tasse dampfender Punsch, voller verschiedener Zutaten und Aromen. Manchmal überwiegen süße Momente, die den Geschmack heben, aber erst die Würze verleiht dem Dasein Tiefe. Manchmal erscheint uns die Hitze des Lebens zu intensiv, aber letztlich schmeckt jeder Schluck des Punsches wie eine Mischung aus Erfahrungen. Ich gebe dem Buch 4 Sterne. Warum nicht 5 Sterne? Dafür hätte ich gerne noch mehr Textstellen gehabt, die mich zum Nachdenken anregen oder an denen ich mich inhaltlich hätte reiben können.