stimmungsvolle Lost Place - Erkundung

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»Das Dorf der toten Seelen« von Camilla Sten wartet mit einem eindrucksvollen Cover auf und von der Beschreibung »Stranger Things meets Scandinavian Crime« wurde ich als alter Stranger Things – Fanatiker magisch angezogen.

Doch beides passt so ganz und gar nicht zu diesem Buch. Hier bekommt man weder den tiefgehenden, politisch angehauchten Krimi noch die übernatürliche Mystery. Diese Geschichte könnte in der Realität so oder ähnlich geschehen, was natürlich auch seinen Reiz hat.

Die junge, schwedische Dokumentarfilmerin Alice stellt ein kleines Team zusammen und möchte die Geisterstadt Silvertjärn erforschen, in der 60 Jahre zuvor auf mysteriöse Weise alle Bewohner verschwanden.

Nach einem kurzen Schocker-Prolog schlüpfen wir in den Kopf von Alice, die die Geschehnisse in der Gegenwartsform erzählt.

Sie verspricht sich viel von dem Filmprojekt, da es ihr zum einen ihren Karrieredurchbruch ermöglichen soll und zum anderen mit ihrer persönlichen Familiengeschichte verwoben ist. Ihre Großmutter zog kurz vor dem Verschwinden der Dorfbewohner nach Stockholm und erzählte Alice viel von Silvertjärn, also macht sie es sich zur Aufgabe endlich aufzuklären, was vorher niemandem gelang. Ihre Gefühlswelt wird von Beginn an nachvollziehbar von der Autorin beschrieben, doch Alice wurde mir relativ schnell unsympathisch, da sie eine unsichere Person ist, die anderen Leuten ungerechte Vorwürfe macht und sich aber selbst eigennützig verhält. Erfreulicherweise macht sie im Laufe der Zeit eine Entwicklung durch, was mir wiederum gut gefiel. Bis auf ihre frühere Freundin Emmy, mit der sie noch eine Rechnung offen hat, erfährt man über die restlichen Charaktere nicht allzu viel, weshalb ich mir keinen Liebling herauspicken konnte.

Die Autorin erzählt uns in einer zweiten Zeitebene ausschnittsweise die Geschehnisse kurz vor dem Verschwinden der Gemeinschaft, aber auch hier kamen mir die Figuren nicht sonderlich nahe. Sie dienen nach meinem Empfinden nur dem Zweck, die Fallaufklärung nicht so trocken zu gestalten.

In der ersten Hälfte genoss ich die herrlichen Beschreibungen des Settings wirklich sehr, hier kam Atmosphäre auf, leider aber keine Spannung. In der zweiten Hälfte geschieht dann endlich mehr, allerdings nehmen wir auch hier nur zwei oder drei kurze Spannungshügel, die schnell wieder ins nächste Tal führen. Ich habe mich zwar nie direkt gelangweilt aber mir irgendwie doch deutlich mehr erhofft. Sobald mir Hinweise zugeworfen wurden, worauf die Sache hinaus laufen könnte, hatte ich relativ schnell den richtigen Riecher, auch wenn ich bis kurz vor Schluss auf eine spektakulärere Auflösung hoffte als die, die ich während des Lesens vorhersah und dann auch eintraf.

Zum Stil der Autorin kann ich sagen, dass er mir insgesamt zusagt und seine eigene Note hat, allerdings vielen mir ab und zu Wiederholungen auf und manche Kleinigkeiten, die geschehen, wurden nicht richtig weitergedacht oder konsequent durchgezogen. Ich würde aber wieder ein Buch von Camilla Sten lesen, nur ist es ein wenig schade, dass wieder ungerechtfertigterweise mit großen Namen wie »Stranger Things« geworben wurde. Ohne diese falsche Erwartungshaltung hätte ich ihr Debüt deutlich mehr genießen können.

Wer sich gerne mit »Lost Places« befasst und Gefallen an Geschichten findet, die sich dicht an realen Unglücken und Kriminalfällen halten, der kann mit »Das Dorf der toten Seelen« sicher etwas anfangen.