Überflutete Heimat - entrechtetes Volk

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aischa Avatar

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Elin Anna Labba erzählt in ihrem ersten Roman über rund fünf Jahrzehnte hinweg die Geschichte einer samischen Familie in Nordschweden – aus der Perspektive von drei Frauen: der strotzenden Kämpferin Rávdná, ihrer zurückhaltenden Schwester Ánne und ihrer Tochter Ingå. Jedes Frühjahr kehren sie als Halbnomaden gemeinsam ins „Sommerland“ zurück – nur um zu erleben, wie ihr Dorf mehrfach vom steigenden Stausee überflutet wird. Staatliche Wasserkraftprojekte zerstören ihre Heimat, die Torfkoten versinken im Wasser, ohne dass die Samen vorab einbezogen oder danach entschädigt werden. Die herablassende, rassistische Haltung der schwedischen Regierung war für mich bei der Lektüre kaum erträglich. So wird etwa ein Antrag für einen Baukredit wie folgt abgelehnt: "Die damit (mit dem Bau eines Hauses) einhergehenden Verlockungen würden die Lappen nur verweichlichen. ... Die natürlichen Eigenschaften der Lappen sind für die Sesshaftigkeit nicht geeignet."

Die drei Protagonistinnen reagieren höchst unterschiedlich auf die Unterdrückung durch den schwedischen Staatsapparat: Rávdná rebelliert, kämpft um Landrechte und versucht – trotz Diskriminierung – ein „richtiges“ Haus zu bauen, während Ánne resigniert und Ingå zunehmend sesshaft wird, sich also anpasst. Diese Konstellation erzeugt Spannung und zeigt zugleich die verschiedenen möglichen Wege, mit staatlicher Repression umzugehen.

Anfangs zog sich die Story etwas sehr in die Länge, aber im weiteren Verlauf hat mich die Geschichte sehr gefesselt. Das Staatsversagen gegenüber indigenen Rechten - in Europa und bis in die 1970er Jahre hinein, wohlgemerkt! - macht mich zutiefst betroffen und ich danke der Autorin, dass sie diese wenig bekannten Ungerechtigkeiten ans Licht gebracht hat.

Sprachlich ist der Roman durch sehr viele samische Begriffe und ganze Sätze einerseits sehr authentisch, andererseits ist die Lektüre dadurch auch sehr herausfordernd, zumal ein Glossar fehlt und man oft nur raten kann, was die fremdsprachlichen Begriffe bedeuten. Sehr gut herausgearbeitet ist hingegen, wie naturverbunden das Volk der Samen ist. Und so wirkt hier stimmig, was mich in einem anderen Setting vermutlich gestört hätte, nämlich dass der Stausee eine eigene Erzählstimme erhält. In kursiven Einschüben, auf sehr poetische Weise, kommt so der große See zu Wort, der - menschengemacht - für die Menschen Fluch und Segen zugleich ist.

Fazit: Ein eindrucksvoller Roman mit kraftvollen Naturbeschreibungen, ein wichtiges, poetisch erzähltes literarisches Zeitdokument über eine wenig bekannte indigene Geschichte in Nordschweden.