Vom Wasser umhüllt

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Inhalt
Die dreizehnjährige Iŋgá kehrt 1942 in Schweden zusammen mit ihrer Mutter Rávdná, ihrer Tante Ánne und den Rentieren in die Sommerlande zurück. Doch dort hat die Regierung alles geflutet, um mit einem Staudamm die Energieversorgung des Landes aufrechtzuerhalten. Das indigene Volk der Samen ist dazu nicht befragt worden. Obwohl viele Samen moderner leben möchten, sind ihnen moderne Häuser nicht erlaubt, ebenfalls keine Elektrizität. Rávdná baut ihre neue Kote mit eigener Hand. Aber sie beschließt auch Protest. Die drei samischen Frauen werden über dreißig Jahre lang immer wieder von den Mächtigen gebeutelt, die sich nicht für ihre Meinung interessieren.


Meinung
„Das Echo der Sommer“ der schwedisch-sámischen Autorin Elin Anna Labba ist ein tief bewegender Roman, der sich auf poetische und zugleich schonungslose Weise mit einem weitgehend vergessenen Kapitel der skandinavischen Geschichte auseinandersetzt: der Zwangsumsiedlung der Samen. Die Autorin, selbst tief verwurzelt in der Kultur des indigenen Volkes, verleiht in diesem Werk jenen eine Stimme, deren Geschichten jahrzehntelang ungehört blieben.
Sie erzählt die Geschichte dreier Frauen, die für unterschiedliche Aspekte dieser Veränderungen stehen. Rávdná beißt sich am stärksten fest. Schon einmal hat sie alles verloren, als das alte Land geflutet wurde, ihre Wut trägt sie durch viele Jahre. Sie ist störrisch, beißt sich fest. Sie muss generell hilflos einer Entwicklung zusehen, der sich niemand ihres Volkes entziehen kann. Und sie schaut besorgt auf ihre Tochter. Diese wiederum ist die Einzige, die ein wenig lesen kann – doch wie soll man mit Verwaltern kommunizieren, wenn man die Briefe nicht entziffern kann? Und wie stellt man sich beinahe in Stein gemeißelten Vorurteilen, die in etwa besagen, dass „Die natürlichen Eigenschaften der Lappen sind für die Sesshaftigkeit nicht geeignet.“(S. 84) Man versagt ihnen Kredite, sie dürfen keine Steinhäuser bauen und Strom bekommen sie ebenfalls nicht in ihre Koten gelegt. Es ist sogar verboten. Sie sollen so bleiben wie sie sind. Aber niemand kann nur vom Fischfang leben und dem bisschen, was sich mit dem Verkauf von Schnickschnack an Touristen eben so machen lässt.
Tante Ánne ist der ruhige Part, sie nimmt alles hin und unterstützt still die Familie. Ihr eigenes Leben hat einen traumatischen Part zu bieten, den sie nicht vergessen kann. So still wie sie lebt, so still wird sie gehen, aber wenigstens selbstbestimmt.
Iŋgá ist zwiegespalten. Sie mag das Leben ihrer Mutter, aber sie erkennt auch, was sein könnte. Sie möchte ein modernes Leben, ein richtiges Haus mit fließendem Wasser und Strom. Aber soll sie ihr Dorf dafür verlassen und wovon soll sie leben, die sie nie in einer Schule gewesen ist?
Die Handlung zieht sich über mehr als dreißig Jahre. Der Verlust der Heimat schwebt immerwährend zwischen den Zeilen. Denn ein Land, das unter Wasser steht, kann nicht mehr bewohnt werden, auch wenn es quasi noch da ist und keine große Entfernung zwischen ihnen liegt. Und es kommt auch nicht mehr zurück.
Aber was soll das Volk tun? Auf Altbewährtes setzen? Oder sich der Moderne anpassen? Und wie geht man mit all den Klischees und Vorurteilen um? Das Leben eben jenes Volkes wird sehr lebendig geschildert. Die Autorin flicht die Sprache ein, die Kleidung, die Wohnform. Auch das alltägliche Miteinander wird anschaulich gezeigt. Wer schon immer mehr über die Samen wissen wollte, wird hier fündig.
Der Roman bringt ein paar Längen mit, aber am Ende kann sich kein Leser den mannigfaltigen Emotionen entziehen, die von Labba konsequent und irgendwie endgültig eingebaut wurden. Das Buch wirkt in jedem Fall nach. Diese nordische Literatur der Gegenwart ist Gernelesern des Genres ans Herz gelegt.