Auf der Suche nach den Erinnerungen einer Psychiatrie-Patientin

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annajo Avatar

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Berlin im Jahr 1933, Alma Siegel ist auf der Suche nach ihrem Verlobten Martin Kirsch. Dieser arbeitete als Arzt in einem Krankenhaus und wurde in einen mysteriösen Fall hineingezogen. Im Jahr zuvor wird eine junge Frau halbtot in einem Gewässer in Caputh aufgefunden und kann sich an nichts erinnern. Da man bei ihr ein Flugblatt für eine Vorlesung Einsteins findet, wird sie von nun an als das "Einstein-Mädchen" bezeichnet und in der Psychiatrie der Charité behandelt. Schnell entwickelt sich Kirschs Interesse an dem Fall  zu etwas Persönlichem. Und auf der Suche nach den Erinnerungen seiner Patientin gerät er in den Strudel von Familiengeheimnissen einer der berühmtesten Familien der Welt. Doch während Kirsch sich Hals über Kopf in seine Arbeit stürzt, verändert sich die Welt um ihn herum. Das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" wird erlassen und alle Psychiater sind angehalten, die Akten ihrer Patienten zu übermitteln. Zuvor erhält Kirsch immer wieder Anfragen eines bekannten Psychiaters, an einer Studie zur Vererbung von psychiatrischen Störungen mitzuarbeiten. Kirsch selbst hat bereits im ersten Weltkrieg gedient und die Albträume dessen plagen ihn immer noch.

Überraschenderweise ist es einem englischen Autor gelungen, das Berlin der 1930er Jahre greifbar wieder auferstehen zu lassen. Die kleinen und großen Anzeichen der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten dürften jeden deutschen Leser erschauern lassen, besonders die, die die Geschichte der Psychiatrie und ihren unrühmlichen Beitrag zu dieser Zeit kennen. Jedoch geht es dem Autor nicht vordergründig um die politischen Entwicklungen. Sie dienen lediglich dazu, das Setting der Geschichte deutlich zu machen. Beispielsweise wird Alma bei ihren Wanderungen durch Berlin Zeugin der Vorbereitung der Bücherverbrennung auf dem Bebelplatz und Kirsch erlebt Randale und skandierende NS-Anhänger mit. Leider verfliegt die Spannung, die sich auf den ersten Seiten entwickelt hat, sehr schnell. Und im Widerspruch zur Verlagsankündigung ist dieses Buch ein Roman, und kein historischer Thriller. Sington scheint - wie sein Protagonist Kirsch - fasziniert von Einstein und seiner Arbeit. Es gelingt ihm jedoch nicht, diese allgemein verständlich zusammenzufassen. Immer wieder werden Passagen ausschweifend und diskutieren Einsteins Arbeit auf hohem Niveau. Für ein allgemeines Publikum finde ich dies viel zu spezifisch. Ansonsten ist dieses Buch durchaus ein intelligentes Werk, das seinen Lesern einiges abverlangt, im Gegenzug dafür aber wenig Spannung bietet. Auch geht es in eine gänzlich andere Richtung als zunächst erwartet. Sington strickt eine Geschichte um die Biographie eines der berühmtesten Wissenschaftler, die ich so bislang nicht kannte. Dabei gelingt es ihm, alle Beteiligten menschlich und realistisch wirken zu lassen. Zudem begibt er sich auch auf das Feld der Psychiatrie und scheint sich fundiert eingearbeitet zu haben.

Da das Buch sehr speziell und streckenweise langatmig ist, nichts von einem historischen Thriller hat und wenig Spannung aufweist, bin ich doch eher enttäuscht. Da ich mich aber sehr für die Geschichte der Psychiatrie interessiere, bekommt "Das Einstein-Mädchen" von mir einen extra Stern. Sonst hätte ich es lediglich als mittelmäßig bewertet. Schade, dass durch die Verlagsankündigung falsche Hoffnungen geweckt wurden.