Sehr aufwühlende Geschichte

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elkesonnenschein Avatar

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Der Tatsachenroman „Das einzige Kind“ von Hera Lind verdient mit Recht diese Bezeichnung, denn es beschreibt auf 380 Seiten ungeschönt die grausame Geschichte eines kleinen, liebenswerten Jungen. Das Buch ist am 2.November 2023 vom KNAUR - Verlag veröffentlicht worden.

„Das einzige Kind“ ist sehr spannend geschrieben, denn die Geschichte führt Dich mitten in die Kriegswirren des Zweiten Weltkrieges.

Djoko, ein etwa 5jähriger „Zigeunerjunge“ mit schwarzen Locken ist die Zentralfigur, um den sich die ganze Geschichte rankt. Sie führt dich in die Tiefe der Wälder des Balkan. In einer kleinen Hütte mitten im Wald wohnt Djoke mit seinen Eltern Marusha und Stipa, die er liebevoll Mama und Tate nennt. Die Armut steht allen ins Gesicht geschrieben. Es reicht nicht, um satt zu werden, nur zu überleben. Stipa, ist ständig im Wald mit den anderen Männern und bekämpft die Wölfe, die immer zudringlicher in die Siedlungen einbrechen.
Später dann sind es die Ustaschas, die „Aufständigen“, Handlanger der Nazis, die bedrohend näher kommen und alles vernichten. 1940, der Balkankrieg brennt. Der Großvater, zu dem Djoko mit seiner Mama geflüchtet ist, antwortet Djoko auf seine Frage: „warum tun Menschen das, ich dachte, sowas tun nur Wölfe?“: „Ach, Djoko, der Mensch ist dem Menschen sein Wolf!“ Sein Tate war als Anführer der Partisanen im Kampf als großer und tapferer Held gefallen. Das Lachen im Dorf war verschwunden. Die Kämpfe kamen immer näher.

Irgendetwas Schweres lag auf Djoko und er konnte sich nicht bewegen, er glaubte an einen bösen Traum. „Du mußt Leben“ sind Mames letzte Worte an ihm. Die wechselvolle Geschichte dieses kleinen tapferen Jungen beginnt genau hier, seine Eltern und Großeltern sind tot, er ist schwer verletzt, die Beine sind von Granaten regelrecht zerfetzt. Er ist allein auf der Welt und seine größte Angst besteht darin, von allen verlassen zu sein. Aber immer wieder trifft er auf Menschen, die ihm weiter helfen, weil er der Sohn des heldenhaften Anführer der Partisanen ist. Sie wissen genau, wenn das die Ustaschas gewahr werden, werden sie diese Helfer bei lebendigen Leibe häuten. Schnell merken diese Helfer dann, welch tapferer kleiner Kerl er ist, aber er will nicht tapfer sein, er will lieber tot sein. Ihn quälen furchtbare Schmerzen an seinen Beinen.

Djoko wird von einem zum anderen gereicht, damit ihm geholfen werden kann. So gerät er auch in das Partisanenkrankenhaus. Die tröstenden Worte der sanften Krankenschwester Ljubica sind: „Du wirst wieder laufen können!“ Er war „Das einzige Kind“ auf der Station. Die Ustaschas kommen immer näher, das Krankenhaus muß geräumt werden. Djokos Lieblingsschwester Ljubica sagt ihm, sie würde ihn nicht allein lassen, und tatsächlich. Auf der Flucht war sie immer an seiner Seite. Die nicht ausgeheilten Wunden stürzten Djoko sehr oft in erlösende Ohnmachten.

Der Balkankrieg war im vollen Gange, so löste eine Brutalität und bestialische Grausamkeit die nächste aus, und Djoko stand als 6-jähriger Knirps dabei. Plötzlich kamen Stukas, Germanskis. Schau nicht hin, das hat Djoko so viele male als wohlgemeinten Rat gehört. Was der kleine Kerl dabei alles sehen mußte und wieviel er geweint hat, weiß keiner.

Auf erneuter Flucht wäre er bald totgetrampelt worden, dabei verlor er auch seine Ljubica.
Sie gerieten in die Hände der Deutschen und sie mußten schon selbst ihre Gräber ausheben, ehe sie erschossen wurden. „Deutsche Soldaten erschießen keine Kinder. Geh mit ihm, du hast noch dein ganzes Leben vor dir“, sagten einer zu Djoko und er stand nackt und geschoren wie ein Lamm vor ihm, Franz Bauer aus dem Banat. Also blieb er nun bei den Deutschen, bei der 13.Kompanie der Waffen-SS. Sie nannten ihn den kleinen Franz.

Das war allerdings noch lange nicht die letzte Station dieses kleinen Jungen. 1942 hatte er Malaria und er mußte ins Militärkrankenhaus in Montenegro. Er war nun zum Deutschen geworden - ein kleiner Hitler-Hampelmann.
Später wurde er von einen schmucken Leutnant adoptiert und hieß nun Franz Peters.

Djoko alias Franz stellte fest, es gibt gute und böse Menschen, und er war mittlerweile 9 Jahre alt und wollte nur eins, leben!

Das Militärkrankenhaus mußte er dann genesen verlassen, dort hatte er gerade „neue Eltern“, Schwester Karola mit seinem Karl aus dem Banat, gefunden. Nun kam er in ein Kinderheim, 40 Buben in einem Saal, hartherzige Schwestern und kratzige Wäsche. Franz wollte flüchten und hat es auch geschafft, aber Karl, mit dem er verabredet war, der ist nicht gekommen. So fand man ihn und er war bei drei wieder im Heim.

Dann ist der kleine Franz mit dem Zimmernachbar in die Schule gegangen. Die Lehrerin Frau Koller hat ihn dann Weihnachten mit zu sich nach Hause genommen. Auch sie wollte Franz adoptieren und meinte nur, „…den Franz geb ich nicht wieder her.“ Der Vater von der Lehrerin hat ihn dann adoptiert, nun hieß er Franz Peters-Engl, also vom Großvater Alois Engl. Beim nächsten Bombenangriff waren sie alle im Keller, doch da wurde er unter den Trümmern begraben. Es war kaum noch auszuhalten mit dem Unglück und Elend, das jeden Tag von Neuen hereinbrach. Es war abzusehen, daß der Krieg verloren war. Die Russen standen schon vor den Toren Wiens. Die Mutter von Franz hat die Zeichen ihrer Parteizugehörigkeit tief im Garten vergraben und alle wertvollen Sachen im Keller in den Wänden verstaut, ehe sie mit ihrer Mutter und Franz mit einem beladenen Pollerwagen auf die Flucht sind. Sie wollten über die Donau nach Deutschland.

Was wurde aus den Plänen, wieso landen sie dann in Kärnten, wo mittlerweile die Briten als Besatzer waren und die Mutter in Wien, in dem Bezirk wo die Russen sind.
Überleben sie das und finden wieder zusammen? Was muß das Kind noch alles ertragen, kann er das überhaupt?

Ich kann nicht sagen, mir hat das Buch gefallen, dann wirkt das so als hätte es mir Freude bereitet. Nein, das Buch hat mich gefesselt, gefangen genommen, meine Gefühle wach gerüttelt. Hera Lind hat mich mit ihrer außergewöhnlichen Art, die Tatsachen zu beschreiben, gezwungen, das Buch mehrere Male wegzulegen und eine Lesepause einzubauen, da ich es kaum ertragen konnte, das Schicksal dieses kleinen Jungen zu verinnerlichen. Die schlimmen Erlebnisse dieses kleinen Kindes sind mir so nahe gegangen, daß mir viele Male die Tränen gelaufen sind. Ich habe bisher noch kein vergleichbares Buch gelesen, nur in Dokumentationen sind mir ähnliche Dinge begegnet.

Jedem sollte man das Buch zum Lesen geben, ist doch das Thema leider wieder so zeitnah geworden und könnte dadurch viele Menschen wachrütteln.