Claire DeWitt im Schneesturm

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buecherfan.wit Avatar

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Sara Grans Roman “Das Ende der Welt” ist der zweite Band einer auf vier Titel angelegten Serie um Claire DeWitt, die beste Privatdetektivin der Welt. Ich habe ihren hochgelobten und mit dem Deutschen Krimipreis 2013 ausgezeichneten ersten Roman “Die Stadt der Toten” gelesen und war sehr gespannt auf die Fortsetzung. Leider finde ich den neuen Roman in mancher Hinsicht enttäuschend.

Eines Tages bekommt Claire einen Anruf von Detective Madeline Huong vom Police Department San Francisco. Sie teilt ihr mit, dass Paul Casablancas ermordet worden ist und seine Witwe Lydia ihre Unterstützung gebrauchen könnte. Claire ist von dieser Nachricht tief getroffen. Der Musiker Paul war vor Jahren ihr Geliebter, und sie hatte ihn bei einem zufälligen Treffen nach der Trennung mit Lydia Nunez bekannt gemacht, die ebenfalls Musikerin ist. Die Polizei glaubt an einen Raubüberfall, weil mehrere von Pauls Gitarren verschwunden sind, aber es gibt von Anfang an eine Reihe von Ungereimtheiten. Claire benachrichtigt ihren Assistenten Claude und beginnt ohne offiziellen Auftrag sofort mit den Ermittlungen.

Claire ist eine ganz besondere Ermittlerin, die als junges Mädchen - zusammen mit ihren Freundinnen Tracy und Kelly - durch die Lektüre von “Détection”, einem fiktiven Handbuch für Privatdetektive von dem ebenso fiktiven längst verstorbenen Autor Jacques Silette für immer geprägt worden ist. Silette war ein verkanntes Genie mit eigenen Methoden und einer ganz besonderen Philosophie, die aber zu erstaunlichen Ermittlungserfolgen führten. Claire hat bei seiner Schülerin Constance Darling gelernt und steht noch in Verbindung mit anderen Anhängern des Meisters. Der Roman ist gespickt mit Zitaten aus “Détection”, in denen es um die Suche nach der Wahrheit, um das Lösen von Rätseln und die Rolle der Intuition bei der Ermittlungsarbeit geht. Ich-Erzählerin Claire folgt einer Vielzahl von Hinweisen, hat Träume und Visionen und scheint lange keine Aussicht auf Erfolg zu haben, bis ihr eines Tages die Lösung des Mordfalls eher zufällig in den Schoß fällt. Der Leser begleitet sie währenddessen auf einem Selbstzerstörungstrip, der sie dem Abgrund immer näher bringt, denn zu spät erkennt sie, was ihr Paul Casablancas bedeutet und warum sie die Beziehung mutwillig zerstört hat. Erst der Lama, ein alter spiritueller Begleiter, rettet ihr das Leben und erinnert sie daran, dass nichts ohne Grund geschieht, dass es einen Grund gibt, warum Claire immer wieder überlebt. Für einige, zum Beispiel ihren jungen, sehr talentierten Schützling Andray, der wie Claire nicht von den Drogen loskommt, ist sie die einzige Hoffnung auf Überleben.

Das sind schöne, berührende Momente im Roman. Andere sind es weniger. War die geniale, ausgeflippte, ständig koksende Protagonistin im vorhergehenden Roman noch ungewohnt und originell, ist die Beschreibung der täglichen Drogenrituale irgendwann nicht mehr interessant, sondern langweilt in ihrer Gleichförmigkeit. Auch der Handlungsaufbau verlangt dem Leser einiges an Geduld ab. Nach eigener Aussage hat Sara Gran keinen detaillierten Plan für den Plot, wenn sie anfängt zu schreiben. Das hat deutliche Nachteile. Der Leser gewinnt den Eindruck, dass die Handlungsstränge zunehmend ausfransen, und es erschließt sich ihm nicht, warum die Vergangenheit der jungen Hobbydetektivinnen Claire, Tracy und Kelly in Brooklyn und ihre Suche nach der verschwundenen Bekannten Chloe einen derartig breiten Raum einnehmen. Claires einziger aktueller Auftrag - der Fall der verschwundenen Miniaturpferde - wird eher nebenbei erledigt und hat keine tiefere Bedeutung genauso wenig wie die zahlreichen anderen Fälle aus der Vergangenheit, die im Laufe der Geschichte erwähnt werden. Auch auf die Aufklärung von Tracys spurlosem Verschwinden muss der Leser wohl noch bis zum dritten oder vierten Teil der Serie warten.

So hinterlässt “Das Ende der Welt” einen etwas zwiespältigen Eindruck. Eine frische, neue Stimme in der (Krimi-)Literatur, das schon, aber reicht das aus für eine Serie von vier Romanen?