Sog in die Tiefe

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marapaya Avatar

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Dieser Krimi ist nicht vergleichbar mit den vielen anderen nationalen und internationalen Krimis der letzten Jahre, aber ich kann mich schwer entscheiden, ob ich ihn in den Himmel loben oder in die Tonne drücken soll. Claire DeWitt ist eine Privatdetektivin, angepriesen als die Beste der Welt. Wie Claire sonst ermittelt, kann ich, die zum ersten Mal einen Sara Gran Roman liest, nicht beurteilen. Dieser aktuelle Fall nimmt Claire jedenfalls mit auf eine langsam, aber unaufhaltsam an Fahrt gewinnende Bahn in den eigenen Abgrund. Paul ist in seinem Haus erschossen worden, es sieht nach Raubmord aus. Claire ist fassungslos, zwar war die gemeinsame Zeit nur kurz, aber wäre da ihr Problem mit Nähe nicht, dann hätte Paul der Mann ihres Lebens sein können. Doch Claire ist gegangen und Paul hat Lydia geheiratet, jetzt liegt er erschossen in seinem Wohnzimmer und Claire muss seine Witwe trösten. Pauls Tod reißt eine Menge alter Wunden auf und Claire versucht sich jeden Tag ein bisschen mehr mit allem, was ihr an Drogen in die Finger kommt, zu betäuben. Während sie äußerlich tagelang apathisch in ihrer Wohnung auf dem Boden liegt, erzählt sie mir die Geschichte ihres ersten Falles, damals mit 15 in Brooklyn. Zwischendurch taucht sie wieder in der Gegenwart auf und findet einen neuen Ansatzpunkt für ihre Ermittlungen. Für sie wichtige Leute aus der nahen Vergangenheit streifen flüchtig und fast nur aus der Ferne ihren Weg, alles versinkt in einem Nebel aus Kokain, Schlafentzug und jener Dumpfheit, die bleibt, wenn man die Gefühle aussperrt. Seit ihrer Jugend muss sie mit Verlusten zurechtkommen und findet in den kniffligen Fällen eine Art Anker, der ihr hilft, sich nicht in den rufenden Abgrund zu stürzen. Doch auf Dauer hilft es nicht seine Gefühle auszusperren, nach Pauls Tod wollen sie mit aller Macht zu ihr zurück.
Zu einer Privatdetektivin passt eine verkrachte Existenz, ich erwarte es nahezu. Doch so pauschal ihre Figur auch auf den ersten Blick wirkt, sie berührt mich mit ihrer Angst vor Nähe, ihrer Verletztheit und der Suche nach Geborgenheit. Und das Milieu, in dem sie sich bewegt, versammelt noch eine Menge mehr an verkrachten Existenzen. Menschen, die ihren Träumen nachjagten und sich nun sträuben, die Augen aufzumachen, wohl wissend, dass der Traum längst gegangen ist. Sara Gran bietet ihrer Figur und ihrem Leser keinen Silberstreif am Horizont. Pauls Fall lässt sich lösen, sein Tod bleibt ein unumstößlicher Fakt. Claire DeWitt fährt von einem Abgrund in den nächsten, ihr Ende der Welt wird kommen, doch wird sie wohl nicht bestimmen können, wann.
Sara Grans Roman ist unglaublich vollgepackt und verdichtet. Claires leicht distanzierte Erzählweise fordert mich als Leser zudem heraus, auch zwischen den Zeilen zu lesen und mich nicht von ihr einlullen zu lassen. Sie ist zäh und vielleicht auch tatsächlich abgebrüht, aber das Leben prallt nicht so einfach an ihr ab, wie sie es mir weismachen will. Sie nervt mich, aber ich mag sie auch. Die ambivalente Wirkung ihrer Figur gefällt mir, ebenso die Mischung aus Rausch, Rückschau und Ermittlung. Wären mehr Krimis so wie dieser, würde ich zukünftig wohl einmal öfter zu diesem Genre greifen.