Aal und Mensch auf der Suche nach dem Ursprung

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Rezension zu "Das Evangelium der Aale" von Patrik Svensson

Ein Buch, das gleichzeitig eine naturhistorische und biologische Abhandlung über den faszinierenden Anguilla Anguilla, den europäischen Aal, enthält, als auch eine liebevolle, sehr persönliche Geschichte über den Autor und die Beziehung zu seinem Vater.

Die 18 Kapitel des Buches wechseln sich thematisch dahingehend ab, dass wir einmal Wissen über den Aal vermittelt bekommen, um auf der nächsten Seite plötzlich knietief mitten im Fluss zu stehen und mit Patricks Vater Aale zu fangen.
Anfangs wird nicht gleich klar, warum die wissenschaftlichen und literarischen Kapitel sich permanent abwechseln, doch im Laufe des Buches versteht man immer mehr worauf Patrick Svensson hinaus will und wie er kunstvoll ganz leise und philosophisch einen Bogen von der Aalfrage hin zu der Frage nach der Vater-Sohn-Beziehung spannt.

Ein Buch zum Nachdenken und Nachfühlen, welches auch in den Leser_innen zwangsläufig existenzielle Fragen aufwirft. Fragen nach dem Ursprung allen Lebens. Wo kommen wir her? Wohin gehen wir? Wie finden wir unseren Platz im Universum und ist dieser zufällig oder vorherbestimmt?

Im Gegensatz zur Aalfrage scheint die "Menschenfrage" gelöst. Keine andere Spezies ist wohl so erforscht wie unsere. Doch Patrick Svensson gelingt es, mich zweifeln zu lassen.
Über den Menschen wissen wir, anders als beim Aal, zwar wie er sich fortpflanzt, sich an Lebensräume anpasst und wie er stirbt, aber die letzte Frage, das große Warum, bleibt genauso unbeantwortet.

Zum Ende hin wird man traurig. Aufgrund des Klimwandels und menschengemachten für den eleganten, schlangenartigen Fisch unüberwindlichen Hindernissen, werden wir den europäischen Aal höchstwahrscheinlich verlieren, bevor wir ihn überhaupt verstanden haben.
Genauso wie der Autor seinen Vater verlor, bevor er ihn und sein "Warum" erfahren konnte.

Nicht zuletzt setzt sich der Autor auch mit dem Töten von Tieren auseinander und lässt immer wieder durchblicken, dass er der ethischen Rechtfertigbarkeit skeptisch gegenübersteht. Vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass der Aal akut vom Aussterben bedroht ist. Auf den letzten Seiten des Buches, fängt er nochmal einen Aal und zum allerersten Mal lässt er ihn frei.

Fazit: Ein intelligentes, lehrreiches gleich wie romantisches und philosophisches Buch, welches zum Nachdenken über die eigene Existenz anregt und auf kurzweilige Art unglaublich viel Wissen über den Aal transportiert.


Zum Schluss noch eine meiner Liebelingsstellen im Buch:

Patrick Svensson bezieht sich in "Das Evengelium der Aale" auf viele Naturwissenschaftler_innen und Forscher_innen, die sich im Laufe der Zeit mit der Aalfrage beschäftigt haben und lässt sie mittels Zitaten auch sprechen. So zum Beispiel die renommierte Meeresbiologin Rachel Carson, die wissenschaftlich korrekt, aber gleichzeitig atemberaubend poetisch über den Aal und das Leben unter Wasser generell schreibt:

"Die Tiere, die das Wasser verließen, um an Land zu leben, nahmen das Meer in ihren Körpern mit, ein Erbe, das sie an ihre Nachkommen weitergaben und das bis heute alle an Land lebenden Tiere mit ihren Ursprüngen im Urzeitenmeer verbindet. Fische, Amphibien und Reptilien, warmblütige Vögel und Säugetiere - wir alle haben unsere Butgefäße und eine Salzlösung, in der die Elemente Natrium, Kalium und Kalzium in fast denselben Proportionen gelöst sind wie im Meerwasser.
Das ist unser Erbe aus der Zeit vor unzähligen Millionen Jahren, als unsere entfernten Vorfahren sich von einzelligen zu mehrzelligen Wesen entwickelten und ein inneres Zirkulationssystem entwickelten, durch das zunächst nur Meerwasser strömte."

Einfach mal sickern lassen...