Die Geschichte des Aals

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Mein Leben fühlt sich an wie gejagte Wale // wie ein Pferdeschädel voller zuckender Aale. Diese Songzeile aus Thees Uhlmanns erster Single „Zum Laichen und sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf“ ist es, die mir immer als erstes in den Sinn kommt, wenn es um Aale geht. Tatsächlich ist der Aal bei mir vor allem mit jener im Song paraphrasierten Szene aus Günter Grass‘ Die Blechtrommel konnotiert. Die glitschigen Aale, die einen Pferdeschädel kahlfressen. Sich windende, glitschige Fische, die stark an Schlangen erinnern.

Auch der Schwede Patrik Svensson weiß um diese Bezüge und macht sich in seinem Sachbuch Das Evangelium der Aale dran, die Geheimnisse dieses unterschätzten Wassertiers zu ergründen. Ein Buch, das zugleich als Sachbuch und Memoir funktioniert.

Nature Writing liegt im Trend. Längst sind es nicht mehr nur Indie-Verlage wie Matthes&Seitz, die dieses Feld besetzen. Auch Großverlage haben längst erkannt, dass die literarische Beschäftigung mit der Natur im Trend liegt. So hat die Verlagsgruppe Random House Matthes&Seitz deren Autor Robert MacFarlane abgeluchst. Dessen Buch Unterland über Tunnel, Höhlen und das Leben unter der Erde avancierte zum Bestseller. Die Auszeichnung mit dem NDR Kultur Sachbuchpreis folgte.

Auch der Hanser Verlag aus München hat die Zeichen der Zeit erkannt. So hat man dort Patrik Svenssons Buch gleich zum Spitzentitel des Sachbuchprogramms in diesem Frühjahr gemacht. Eine Entscheidung, die ich nachvollziehbar und gut finde. Denn Das Evangelium der Aale ist gut gemachte Naturkunde, sinnig komponiert und auch in der Disziplin des Memoirs überzeugend.


Dies kann der Aal uns sagen, meinte Tom Crick. Er sagt uns etwas über die Neugier des Menschen, über unser ewiges Bedürfnis, die Wahrheit zu suchen und zu verstehen, woher alles kommt und was es bedeutet. Aber auch über unser Bedürfnis nach dem Geheimnisvollen. „Der Aal kann uns vieles über die Neugier sagen – wsesentlich mehr, als unsere Neugier über den Aal weiß“.
Svensson, Patrik: Das Evangelium der Aale, S. 124

Wo kommt er her, der Aal? Was macht ihn so besonders? Warum konnte man bis heute die genaue Fortpflanzungsmethodik des Aals nicht verifizieren? Und was hat Sigmund Freunds Psychoanalyse mit dem Aal zu tun? Wer Patrik Svenssons Buch liest, weiß mehr. Der Schwede teilt sein Buch dabei in zwei Teile, die er immer abwechselnd erzählt. So besteht der eine Teil aus Erinnerungen an Svenssons Vater, mit dem er zum Aalfischen zu gehen pflegte. Seine Kindheit, die soziale Herkunft des Vaters und ihre Bindung, all das beleuchtet Svenssons eindrücklich.

Die zweite Komponente ist die Geschichte des Aals. Von dessen Fortpflanzung bis hin zur aktuellen Gefährdung der Fischart reicht der Bogen, den Svensson spannt. Auch die Geschichte der Erforschung des Aals spielt im Buch eine Rolle. So erzählt er vom dänischen Forscher Johannes Schmidt, Sigmund Freud oder Aristoteles, die sich alle auf unterschiedliche Art und Weise mit dem Aal beschäftigten.

Ebenso beleuchtet er den Aal in der Kunst. So gelingt es Svensson, über die von ihm besprochenen Werke auch Lust auf deren Konsum zu machen. Der eingangs zitierte Günter Grass und seine Blechtrommel haben im Evangelium der Aale genauso ihren Auftritt wie der Brite Graham Swift. Dieser setzt im oben zitierten Roman Wasserland dem Aal und der Flusslandschaft der ostenglischen Fens ein Denkmal. Und Svensson bindet es klug in sein Buch mit ein.

Auf den letzten Seiten seines Sachbuchs gelingt es ihm dann schließlich, die beiden Hauptteile, aus denen sich das Buch zusammensetzt, auf wundervolle Art und Weise zu verbinden. Insgesamt hat man das Gefühl, ein rundes Buch zu lesen, dass den Aal erschöpfend behandelt, ohne je erschöpfend auf die Leser*innen zu wirken. Auch die Übersetzung von Hanna Granz aus dem Schwedischen tut ihr Übriges dazu. Ein würdiger Vertreter der Gattung Nature Writing und schönes Memoir obendrein!