Betrüger? Lügner? Träumer?

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miltonia 01 Avatar

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Natürlich sind mir die May’schen Figuren Old Shatterhand, Winnetou und Kara ben Nemsi geläufig und natürlich habe ich die Winnetou-Filme gesehen und dabei auch herzlich geheult.
Über den Autor wusste ich bislang nicht viel mehr, als dass er in Sachsen gelebt und in Radebeul in einer schönen exotisch hergerichteten Villa gewohnt hatte. Und dass er wohl auch ein durchaus begabter Aufschneider war, der seinen Mitmenschen das Blaue vom Himmel sehr überzeugend vorlügen konnte und sich damit nicht unerheblichen Ärger eingehandelt hatte. Aber was das für ein Mensch ist, der so viel Phantasie und Einfallsreichtum für unzählige Romane und ganz unterschiedliche Buch-Gestalten entwickeln konnte, dafür habe ich mich nicht wirklich interessiert.

Der Autor Phillip Schwenke bringt mir nun die Person Karl May sehr nahe, er beginnt mit der absolut ärmlichen Kindheit, der Karl durch ein Lehrerstudium entkommen kann, allerdings schafft Karl es immer wieder, sich durch kurzsichtige Aktionen richtig in tiefste Scheiße zu reiten und alles mühsam Erreichte zunichte zu machen. Und das zieht sich nun wirklich durch sein gesamtes Leben.
Schwenke springt dabei immer zwischen unterschiedlichen Zeiten, einmal begleitet er Karl auf seiner ersten Reise in den Orient, als dieser auf der Suche nach den Orten, Menschen und der Atmosphäre seiner Romane ist und feststellen muss, dass in Wirklichkeit weder der Orient noch er selbst den Schilderungen seiner Bücher entspricht und zum anderen begleitet er Karls Leben nach seiner Rückkehr nach Deutschland, als sich doch langsam die Erkenntnis verbreitet, dass Karl May weder 800 Sprachen spricht noch 15.000 Apachen befehligt und somit ein großer „Shitstorm“ beginnt.

Was für Karl May nun selbst Wahrheit, Fiktion oder vielleicht doch eine sehr schöpferische Schizophrenie ist, bleibt dabei offen und auch der Meinung des Lesers dabei selbst überlassen.

Auf jeden Fall ein sehr unterhaltsames Buch, das mir neben der Geschichte des Autors Karl May nebenbei auch Einblicke in die Beginne des Orient-Tourismus und die Lebenswelt zu Beginn des 20. Jahrhunderts gibt, dafür von mir 4 Sterne.