Die flimmernde Wirklichkeit

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hennie Avatar

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Es gibt einen wesentlichen Grund, warum ich das Erstlingswerk von Philipp Schwenke unbedingt lesen wollte. Ich bin gebürtige Sächsin und im zarten Alter von 10 Jahren machte ich die erste Bekanntschaft mit den Büchern Karl Mays in seinem Geburtsort Hohenstein-Ernstthal, unweit seines Geburtshauses. Durch meine Verwandten, die in dem Ort wohnten, erfuhr ich damals schon sehr viel über den berühmten Schriftsteller, den sie einen ziemlichen „Hallodri“ und „Hochstapler“ nannten. Warum, das konnte ich damals nicht verstehen, denn ich fand seine Geschichten außerordentlich unterhaltsam.
Das Buch beginnt mit dem Jahr 1862 mit einer Verhandlung in einem Chemnitzer Gericht. Karl May muss sich wegen eines geringen Vergehens verantworten und wird mit Zuchthaus bestraft. Der Prolog endet mit dem bemerkenswerten Satz:
„Noch ehe er 21 Jahre zählte, war Karl Mays Leben vorüber.“
Der Autor stellt dieses einschneidende Erlebnis der drastischen, maßlos übertriebenen Bestrafung nochmal zur Disposition in einer Beichte Karl Mays Richard Plöhn gegenüber. Sein bester Freund befragt ihn wegen dem Wahrheitsgehalt seiner Werke und May antwortet u. a.:
„Es bildete sich bei mir das Bewußtsein heraus, dass ich kein Ganzes mehr sei. Stattdessen gab es in mir verschiedene handelnde Personen, die sich bald gar nicht, bald aber auch sehr genau voneinander unterschieden.“ S. 492
Im wesentlichen beschreibt „Das Flimmern der Wahrheit über der Wüste“ die Jahre 1899 bis 1902. Die Orte der Handlung wechseln ständig. Sie zeigen einen Karl May, der mit seinen Werken einen Riesenerfolg hatte, aber den ersten Stimmen begegnen will, die ihn als einen Phantasten, als Lügner, als Spinner beschimpfen. „Der größte Abenteurer des Deutschen Reichs“ (S. 47) ist bereits 57 Jahre alt, als er beschließt seine erste, tatsächliche Reise in ferne Länder zu bestreiten und wird dabei recht bald mit seinen eigenen Illusionen in höchst unangenehmer Art und Weise konfrontiert.
„Die Wirklichkeit aber, sie hatte zu flimmern begonnen. ...in dem Irrsinn, mit dem man ihn liebt, entgleitet Karl sich selbst.“ S. 99
Seine wirkliche Orientreise ist erneut von erdachten Situationen, gepaart mit einer nicht wirklich existierenden Person, durchdrungen. Der Mann mit der „Schmetterfaust“ bringt sich mit seinen Flunkereien und Phantastereien sehr oft und vollkommen unnötig in teils arge Schwierigkeiten und Bedrängnis. Er verstrickt sich immer mehr in seine eigene, abstruse Wirklichkeit und gerät mehr und mehr unter physischen und psychischen Druck. Wie Karl May damit, dazu mit den heftigen Angriffen der Nachrichtenblätter aus der Heimat während seiner Reise, und noch mit privaten Problemen fertig wird, davon erzählt Philipp Schwenke in seinem Roman sehr gekonnt und abwechslungsreich. Mir gefällt es sehr, wie sich der Autor auch in der schwülstig, geschraubten Sprache des „Old Shatterhand“, „Kara Ben Nemsi“ ausdrückt.

Karl May ist ein sehr dankbares Thema für einen Roman. Er war ein Schriftsteller, der es mit der Wahrheit nie so genau nahm, der vermutlich auch im privaten Umfeld unter einer verzerrten Wahrnehmung litt. Hier beziehe ich mich hauptsächlich auf sein Verhältnis zu seiner ersten Ehefrau Emma sowie auch zu der Beziehung zu Klara Plöhn, die maßgeblichen Einfluß auf ihn hatte. Philipp Schwenke hielt sich an die authentischen Gegebenheiten (dazu gibt es viele Quellen), um Karl Mays Leben darzustellen. Er läßt dem Leser weiten Raum zu Spekulationen.

Ich habe das Buch sehr gern gelesen, aber es war mir teilweise zu weitschweifig. Ca. 200 Seiten weniger hätten es auch getan.
Informativ sind die Karte im Innenteil vorn und das Foto der Ehepaare May und Plöhn im hinteren Teil des Buches.

Meine Bewertung: 4 von 5 Sternen. Ich vergebe meine Empfehlung für alle Freunde des historischen Romans und Karl Mays.