Eine Ménage-à-trois aus Lug, Betrug und Größenwahn

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ismaela Avatar

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Obwohl ich nicht jedes einzelne Buch von Karl May gelesen habe, war Winnetou das allererste Idol in meinem Leben (neben Michael Jackson), und ich habe mir niemals den dritten Teil dieser Winnetou Saga gegeben (weder als Film noch als Buch), weil ich seinen Tod nicht ertragen hätte. Tja, lang lang ist’s her…
Mit „Das Flimmern der Wahrheit über der Wüste“ hat Philipp Schwenke ein rasantes und mächtiges Romanwerk über den sächsischen Hochstapler vorgelegt, das zumindest mir in seiner überbordenden Wortfülle und Fabulierlust herrlich gut gefallen hat. Dass Karl May seine Geschichten geschrieben hat, ohne jemals in den jeweiligen Ländern gewesen zu sein (zumindest zum Entstehungszeitpunkt dieser Abenteuerwerke), war mir bekannt. Neu jedoch war für mich Mays selbstinszenierter und –erbastelter Lebenslauf, wonach er sämtliche Abenteuer selbst erlebt hat, ein Sprachgenie ist und unzählige Kampf- und Verteidigunsstrategien beherrscht. Und ihm das von der Mehrheit der Leute tatsächlich abgekauft wurde.
Ich habe während des Lesens den Lebenslauf von Karl May ein bisschen recherchiert, und auch wenn Schwenke sicherlich sehr vieles ausgeschmückt und für seine Zwecke passend gemacht hat, so stimmen doch die Eckdaten und Vorkommnisse, die in diesem Buch beschrieben wurden, mit dem wahren Leben Mays überein. Ob aber, wie im Buch beschrieben, seine Frau Emma wirklich so ein Biest war? Ob die Frau seines besten Freundes Klara wirklich so eine berechnende Person war, die ihre Nebenbuhlerin erfolgreich aus der Ehe und in den Verfall getrieben hat, um deren Stelle an Karl Mays Seite einzunehmen? War Karl May tatsächlich so ein vehementer Verfechter von Recht und Moral, die er bei anderen Menschen, vor allem Frauen, vorausgesetzt hat, aber selbst als – zugegebenermaßen verklemmter – Lügenbold sein Leben lebte?
Das Hin- und Herspringen in der Zeit lockert das Buch auf, erst zum Schluss vermischen sich dann Gegenwart und Vergangenheit in einem Konglomerat aus Wahn und Wirklichkeit. Sehr gut gefallen hat mir auch die Art und Weise, wie der Autor mit Mays „Einbildungskraft“ umgeht, und wie er dies letztendlich auflöst. Auch die doch sehr unangenehme Lebenssituation aller Beteiligter, die mit Beginn der Orientreise Karl Mays beginnt, fängt der Autor sehr gut ein. Ob es nun die Séancen sind, die man zum eigenen Vorteil nutzt, der vorgetäuschte Selbstmord, oder eine temporäre Vorlesemanie – nicht zu vergessen, die wohl verklemmteste Sexszene, die ich je in einem Buch gelesen habe – man möchte das Buch beenden, um sich aus dieser vergifteten Dreiecksbeziehung zu lösen. Gleichzeitig aber schafft es der Autor, mit seinem Schreibstil die Leser nach wie vor an die Geschichte zu fesseln.
Eine sehr gelungene Mischung aus Biographie, Schmöker und Sittengemälde – ich zumindest werde die Bücher Karl Mays in Zukunft mit anderen Augen lesen.