Über Karl May: Zwischen Tragik und Lebenskunst.

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Über Karl May: Zwischen Tragik und Lebenskunst.
Was es über den Jugend- und Abenteuerromanschriftsteller Karl Friedrich May (1842 bis 1912) zu sagen gibt, findet man in einem einzigen, etwas längeren Wikipediaeintrag beschrieben, danach ist man ziemlich umfassend informiert. Philipp Schwenke holt wesentlich weiter aus und braucht über 500 Seiten, um das Leben Karl Mays darzustellen.

Die Länge seines Romans ist denn auch der Hauptkritikpunkt des Buches, das eine Mischung aus Theaterdarstellung, Persiflage, Biographie und einem Wahrheitsflimmern über der Wüste ist. Selbst das Interesse ausdauernder früherer Karl-May-Leser dürfte angesichts der Länge des Romans auf der Stecke bleiben.

Eigentlich ist die Nachstellung Karls Leben gut gemacht und gut gedacht: In ähnlich ausschweifender und manchmal schwülstiger Schreibweise wie Karl lässt der Autor den Schriftsteller May wirklichkeitsgetreu endlich doch auf Reisen gehen, er ist nun schon 57 Jahre alt und kann es sich jetzt finanziell leisten, seinen Träumen nachzuspüren. Doch Karls Wahrnehmung der Wirklichkeit ist inzwischen empfindlich gestört. Es wird nicht ganz klar, ob er wirklich selber glaubt, der Held Kara Ben Nemsi Effendi zu sein oder ob er vielleicht psychisch kränker war, als man ahnte, möglicherweise an einer bipolaren Störung litt oder einfach nur ein Aufschneider und Narzißt war. Wohl ein bisschen von allem.

Denn Karl May war eine tragische Figur. Er wurde in seiner Jugend für ein lächerlich geringes Vergehen in den Knast gesteckt, wo er einen psychischen Knacks bekam. Heute bekäme er einige Sozialstunden aufgebrummt und die Sache hätte sich. Doch nach dem Gefängnisaufenthalt war Karl vorbestraft. Eine Karriere im Schuldienst, wie angestrebt, konnte Karl knicken. Nach einigen Irrungen und Wirrungen, häufig illegaler Art, landete er als Redakteur bei einer Zeitung und begann das Schreiben. Er hat sich angelesen, was er brauchte, um seine Helden einigermassen wahrheitsgetreu in fernen Ländern Abenteuer bestehen zu lassen. Seine schreiberisches Potential war hoch. Er sonnte sich in seinem Ruhm, der bald kam.

Doch mit der Wahrheit nahm er es nie so genau. Das Flunkern lag ihm einfach. Privat war er schwierig. Er hörte sich gerne reden! Mit Argumenten konnte er nichts anfangen. Praktisch war er unbegabt.

Schwenke unterbricht seinen Reisebericht mit Karl immer wieder, um Zeitungsartikel einzulesen, die in der Heimat erscheinen und Karls Behauptungen, es handle sich bei seinen Romanen um authentische Reiseberichte, in Zweifel ziehen. Damit kann Karl so gar nicht umgehen. Er ist beleidigt und schlägt um sich.

Es fällt schwer, sich einen Menschen vorzustellen, der derart in einer Traumwelt lebte und sich weigert, zu erwachen. Aber … Karl war wohl so. Er kam zu Geld, ruinierte seine Ehefrau, lebte mit deren Freundin als zweiter Ehefrau recht gemütlich weiter und prozessierte jahrelang mit seinen Verlegern. Ein normales Autorenleben also.

Karl May war eine Zeitlang der angesagteste Schriftsteller Deutschlands. Seine Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt. Natürlich sind Karl Mays Bücher Trivialliteratur. Die Helden sind stark, klug und gut und die Antihelden das Gegenteil. Einzig Winnetou ist anders, nachdem Kara Ben Nemsi ihn bekehrt hat. Heute gibt es Besseres zu lesen für die Jugend, Ausgewogeneres und Realistischeres (Harry Potter ist doch realistisch oder?) und Karl gerät allmählich in Vergessenheit. Aber Winnetou lebt dennoch ewig!

Von Kindern Karls war nie die Rede. Schade eigentlich. Ein wunderbares Erbe wäre ihnen in den Schoß gefallen. Samt Tantiemen.

Fazit: Eine Biographie ganz anderer Art. Mehr ein langes, taumeliges Theaterstück. Der Leser erhält eine Ahnung von Karls Traumwelt, denn Philipp Schwenk stellt sie nach.

Kategorie: Unterhaltung. Biografischer Roman.
Verlag: Kiepenheuer & Witsch