Die Suche lohnt sich

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marialein Avatar

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Dot scheint in ihrer Beschäftigung als Angestellte des Fundbüros für die Londoner Verkehrsbetriebe voll und ganz aufzugehen. Jedem einzelnen verlorenen Gegenstand bringt sie Wertschätzung entgegen, etikettiert, dokumentiert und vereint mit großer Freude ihre Kunden mit deren verloren gegangenen Besitztümern. Allerdings kann man mit fortschreitender Lektüre doch nicht umhin zu bermerken, dass Dots Berufung eigentlich eine andere ist. Und dass ihr Privatleben nicht gerade erfüllend ist. Und dass sie damals, vor ein paar Jahren, selbst so einiges verloren und bisher nie wiedergefunden hat: ihre Abenteuerlust, ihre Unbeschwertheit, ihren Studienplatz und aussichtsreiche Karrieremöglichkeiten, ihren damaligen Freund. Und vor allem: ihren Vater.

Als dieser sich das Leben nahm, war Dot überzeugt, dass sie allein die Schuld trug und zog sich zurück in ein einsames, freudloses Leben. Zu ihrer Mutter hat sie nicht den gleichen guten Draht wie zu ihrem Vater, ihr Verhältnis zu ihrer großen Schwester Philippa ist schwierig. Die einst so reiselustige Dot beschränkt sich nun auf die intensive Lektüre von Reiseführern und erfreut sich daran, anderen Menschen bei ihren Verlusten zu helfen.

Tatsächlich hatte ich damit gerechnet, dass der Roman auf dieser etwas freudlosen, aber erträglichen Ebene bleibt und dann zum Ende einen schönen Abschluss bietet, wo die Heldin dann doch ihre Lebensfreude wiederfindet und alles gut ist. Tatsächlich entwickelt sich die Story aber deutlich dramatischer als erwartet, was ich aber nicht gerade als schlecht empfinde. Der Umbruch in Dots Leben steht klar bevor: Ihre Mutter leidet an zunehmender Demenz und muss nach einem Sturz in eine Demenzklinik einziehen. Philippa will die Wohnung verkaufen, so dass Dot sich wohl oder übel nach einer neuen Bleibe umsehen muss. Schließlich wird sie auch noch an ihrem Arbeitsplatz von ihrem neuen Chef überfallen, woraufhin sie sich wehrt und die Flucht ergreifen muss.

Nun scheint sie ganz unten zu sein. Doch nicht umsonst heißt der Roman „Fundbüro der verlorenen Träume“ und nicht umsonst deutet das Cover an, dass auch verloren Geglaubtes wieder gefunden werden und neu erblühen kann. Das Cover hat mich zuallererst auf den Roman aufmerksam gemacht, weil es so wunderschön gestaltet ist. Und nach der Lektüre kann ich sagen, dass es obendrein noch sehr gut zu der Geschichte passt, ja geradezu sinnbildlich für die Grundaussage des Romans steht.

Überhaupt lebt der Roman von den wunderschönen Bildern, die die Autorin hier heraufbeschwört. Kein Gegenstand scheint jemals einfach nur ein Gegenstand zu sein; jeder hat seine eigene ganz persönliche Bedeutung und spielt eine Rolle in der Geschichte. Dass die Autorin Gefühle so gut greifbar zu machen weiß, lässt sich ganz gut durch ihren Hintergrund erklären: Helen Frances Paris hat umfassende Theatererfahrung und beherrscht ihr Handwerk offenbar auch in Romanform sehr gut.

Sie hat auch eine sehr besondere Form für die Kapitelüberschriften gewählt, die nicht nur sehr originell ist, sondern den Leser auch sehr gut auf das einstimmt, was ihn in dem jeweiligen Kapitel erwartet: Verloren- und Gefunden-Etiketten geben einen Hinweis auf den Kern des Kapitels und sind ein weiteres Beispiel dafür, wie gut das Bild des Fundbüros in alle Lebensbereiche passt. Aber auch dafür, wie gern Dot alles kategorisiert und rationalisiert.

Wer einen gefühlvollen Roman mit hoffnungsvoller Botschaft und starken Bildern sucht, wird im „Fundbüro der verlorenen Träume“ ziemlich sicher fündig!