Fundgrube schöner Worte

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riraraffi Avatar

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„[...]Manche Dinge sind wie eine Art Zeitmaschine; sie können Menschen heraufbeschwören, die wir verloren haben.”
„Aber sie können sie und nicht zurückbringen.”
„Nein. Nein, das können sie nicht … Aber sie helfen uns, ihre Nähe zu spüren.”

Dot, die einst große Ziele hatte, arbeitet mit 30 immer noch, wie seit Jahren, in einem Londoner Fundbüro und scheint genau darin aufzugehen. Mit viel Sorgfalt nimmt sie ihre beruflichen Pflichten wahr, kategorisiert jeden verlorenen Gegenstand gewissenhaft und trägt sogar freiwillig eine Arbeitsuniform. Sie scheint sich mit ihrer pedantischen Art vollkommen in diesem Beruf zu verlieren. Durch Einblicke in ihr Privatleben, welches eigentlich kaum vorhanden ist und durch die Auseinandersetzung mit den Erinnerungen der Protagonistin wird dem Leser schnell klar, warum sie so geworden ist: ein herber Verlust in der Vergangenheit duch Selbstmord.

Im Hier und Jetzt verliert ein älterer Mann, Mr. Appleby, die Tasche seiner verstorbenen Frau und in Dots Lrbrn verändert sich so einiges. Beruflich ist der neue, schmierige Chef verantwortlich, privat ist die ältere Schwester Phillippa mit ihrer ganz eigenen Art nicht gerade unschuldig an Dots Überforderung. Umso mehr verbeißt sich Dot in das Finden der Tasche - wenigstens Mr. Appleby soll das bekommen, was er sucht. Indes übermannen die Schuldgefühle und Fragen Dot. Doch wird auch sie das finden, was sie vor dem endgültigen Absturz rettet?


Der Titel mutet zunächst sehr kitschig an, jedoch geht der Stoff des Debüts von Helen Frances Paris tiefer als eine schnulzige Lektüre.
Auf feinfühlige Weise erschafft die Autorin eine Fundgrube an sprachlichen Bildern zum Thema Verlust. Hier muss die Übersetzung von Sophie Zeitz ein großes Lob ausgesprochen werden, auch auf Deutsch behielt die Wortwahl ihre geschickte Wirkung. Der Einschätzung des Daily Express (“ein witziges, kluges und warmes Buch”) bleibt hier nur zuzustimmen.
Auch die Idee, die Kapitel mit den Etiketten verlorener Gegenstände zu betiteln empfand ich als einfallsreich. Diese Liebe zum Detail lässt sich auch in der Erzählung selbst finden, jeder verlorene Gegenstand und jede Emotion wird durch die Beschreibungen fast echter als in der Realität. Außerdem hat mir gefallen, dass Liebe und Romantik hier wirklich nur eine kleine Rolle spielen- Dot wartet auf keinen Prinzen, der sie rettet, sondern versucht es aus eigener Kraft.
Tatsächlich fehlt mir bei diesem sensiblen Thema ein wenig die Vorwarnung, diese wäre hier meiner Meinung nach sogar spoilerfrei. Triggerwarnungen sind bei Büchern nicht unbedingt gängig, aber die Vorstellung, das eine betroffene Person hier ohne Vorahnung mit dem Thema Suizid und Depressionen konfrontiert wird, kann nicht die ideale Lösung sein.

Kein kitschiger Roman, der viele Gefühle und noch mehr schöne Worte schafft, man muss jedoch im richtigen Gemütszustand für die Lektüre sein.