Gelungener Start in eine neue Fantasy-Reihe

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marionhh Avatar

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Seit sein Bruder ermordet wurde, vegetiert der Fälscher Kevron mehr im Suff als nüchtern vor sich hin, immer in Angst vor Mördern und Gläubigern. Das hätte ewig so weitergehen können, wenn nicht eines Tages Prinz Tymur, fünfter und jüngster Sohn des Königs, an seine Tür geklopft hätte. Der geschwätzige und eitle Prinz hat einen Auftrag für ihn: Er zahlt seine Schulden, dafür soll Kevron ohne Fragen zu stellen seine Kunst als Fälscher beweisen. Hätte Kevron geahnt, dass ihn dieser Auftrag auf eine lebensgefährliche Reise bis ans Ende der Welt führen würde, immer in Gefahr vor Dämonen und nicht wissend, ob nicht einer seiner Mitreisenden besessen ist, er hätte wohl, Feigling der er ist, schnellstens das Weite gesucht. So aber findet er sich auf einem langen Marsch zusammen mit dem launischen Prinzen, der arroganten Magierin Enidin und dem dem Prinzen Tymur treu ergebenen Krieger Lorcan wieder. Mehr als einmal geraten die Gefährten in brenzlige und sogar lebensgefährliche Situationen, bis sie endlich das Ziel ihrer Reise erreichen: das sagenhafte Land der Alfeyn in den Bergen, das Land der unsterblichen Magierin Ililiané...

Großartiger und sehr gelungener Start in eine neue Fantasie-Trilogie, die vom ersten Augenblick an fesselt. Die Autorin, die bislang eher Gothic oder Mystery Romane veröffentlicht hat, überzeugt durchaus mit diesem ersten Band ihrer High-Fantasy-Reihe „Die Neraval-Sage“. Gekonnt verwebt sie verschiedene Erzählperspektiven in ein großes Ganzes und ist dabei immer für eine Überraschung gut. Die Beschreibung ihrer Welten ist reduziert, sie bietet keine Landkarten und detaillierte Kulturgeschichten fremder Völker, ist aber trotzdem sehr anschaulich und lässt gerade dadurch viel Raum für Fantasie. Ihr Schreibstil ist indessen so eingängig und flüssig, dass man sofort in der Geschichte drin ist, und er passt hervorragend zum Genre. Die Welt mutet, wie im Genre üblich, mittelalterlich an, zumindest ist die Gesellschaft, in der die Gefährten zu Hause sind, hochmittelalterlich strukturiert mit einem regierenden König, Adligen, Kriegern, Handwerkern und Bauern. Männer dominieren die Gesellschaft, Frauen sind meist Mägde, Wirtinnen, Witwen, Gattinnen. Interessant ist, dass mächtige Zauberer nur Frauen werden können, und sie sind es auch, die die Welt erforschen und zu erklären versuchen. Die Welt, in der die Gesellschaft lebt, ist magisch, doch im Alltag spielt dies keine Rolle.

Die Geschichte lebt meines Erachtens, zumindest in diesem ersten Band, stark von seinen unterschiedlichen Charakteren, das heißt wie sich die Gefährten finden, auf die Reise begeben und lernen füreinander einzustehen. Die ganz große Action fehlt und auf wildes Schlachtgetümmel wird – zumindest hier noch – verzichtet, was ich durchaus positiv finde. Viel interessanter ist die Legende der Schriftrolle beziehungsweise die Geschichte des Königshauses Damarel. Hierdurch wird die Reise legitimiert. Die Autorin versteht es jedenfalls glänzend, ihre Figuren vielschichtig anzulegen, dabei bleiben diese keineswegs schwarz/weiß, sondern mit sehr vielen menschlichen Facetten und dabei teilweise so zwielichtig, dass man phasenweise nicht mehr weiß, ob derjenige nicht doch ein doppeltes Spiel treibt. Jeder der Reisenden ist wechselweise sympathisch oder unsympathisch, je nach dem welche Gedanken er/sie gerade hat oder wie er/sie gerade agiert. Dabei bleiben alle doch Individuen, ein jeder mit spezifischen Fähigkeiten und Eigenschaften, die ihn von allen anderen unterscheiden und die im Laufe des Geschehens immer wieder zum Vorschein kommen, wie zum Beispiel die Feigheit Kevrons oder die Überheblichkeit Enidins. Jedoch machen sie auch alle eine Art Wandlung durch. Im Reich der Alfeyn beweist Kevron Mut und Beobachtungsgabe, Enidin lernt Demut und Lorcan opfert sich für die Gruppe und das Ziel.

Es ist schon ein sehr bunter und – wie man meinen könnte – willkürlich zusammengewürfelter Haufen, der sich da ins Ungewisse wagt. Jeder ist in seinem Lebensumfeld ein Außenseiter, jeder hat so seine eigenen, manchmal eher selbstsüchtigen Motive, warum er mitkommt. Natürlich ist Prinz Tymur die treibende Kraft, er rekrutiert seine drei Mitreisenden, von denen zumindest zwei ihm inniger zugetan sind als ihnen gut tut. Um ihn und sein Anliegen dreht sich zwar alles, dennoch bleibt er zwielichtig und unberechenbar. Aus seiner Sicht wird kein einziges Kapitel erzählt. Die Perspektive wechselt in schönster Regelmäßigkeit zwischen Kevron, der vielleicht ein bisschen mehr Anteile hat, Enidin und Lorcan, wodurch man naturgemäß in deren Gefühls- und Gedankenwelt intime Einblicke erhält, in Tymurs hingegen nicht. So fragt man sich, warum ausgerechnet derjenige, der ständig das Vertrauen seiner Gefährten verlangt und auch prüft, nicht vielleicht derjenige ist, der am wenigsten Vertrauen verdient.

Fazit: Sehr gelungenes High Fantasy Debüt der Autorin, die es versteht, durch ihre Sprache und ihre Überraschungsmomente Spannung aufzubauen und mit ihren faszinierenden Figuren zu fesseln. Man merkt ihr deutlich ihre Liebe zu Tolkien und Le Guin und dem Genre ganz Allgemein an. Nicht nur der Schluss, der mit einem Paukenschlag daher kommt, zwingt den atemlos am Text klebenden Leser nun am Ball zu bleiben, auch der Wunsch zu wissen, wie es mit den Gefährten weitergeht, lässt uns ungeduldig auf den nächsten Band warten. Ich würde mich außerdem freuen, mehr vom Volk der Alfeyn zu erfahren und möchte auch so langsam einmal einen richtigen Erzdämon kennenlernen!