Mehr Schein als Sein

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frau.gedankenreich Avatar

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"Tausend Jahre, und niemand hatte die Schriftrolle auch nur angerührt. Sie lag auf ihrem steinernen Podest wie am ersten Tag, als wäre alle Zeit nur Einbildung, und nicht einmal Staub wollte sich auf ihr niederlassen. Sie beherrschte den Raum, und nichts beherrschte sie. Vielleicht wusste sie, wie bedeutsam sie war. Und vielleicht wusste es auch der, der in ihr saß, für alle Zeit gezwungen, gebannt, gesiegelt. Es gab genug Gründe, die Schriftrolle zu fürchten. Und selbst Staub, Zeit und Zerfall hielten sich daran.
Nur den kleinen Jungen schien nichts davon zu stören."

Inhalt
Seit es Damar und seinen Gefährten mit Hilfe der Zauberin Illiliané gelungen ist, den Krieg gegen die Dämonen zu gewinnen und den Erzdämon "La-Esh-Amon-Ri" in eine Schriftrolle zu bannen, sind über tausend Jahre vergangen. Im Königreich Neraval glaubt man kaum noch daran, dass die Dämonen eines Tages zurückkehren könnten.
Einzig unter den Bewachern der Schriftrolle - den Nachfahren Damars, der königlichen Familie - keimt eines Tages der Verdacht auf, dass der Dämon sich gar nicht mehr in der Schriftrolle befinden könnte.
Die Erschafferin der Schriftrolle wurde seit dem Krieg allerdings nicht mehr gesehen und so sucht sich Tymur Damarel - der jüngste Sohn des Königs - drei Gefährten zusammen, die mit ihm die beschwerliche Reise in das Nebelreich der Alfeyn antreten: den alkoholsüchtigen Fälscher Kevron Florel, die arrogante Magierin Enidin Adramel und den pflichtbewussten Wächter Lorcan Demirel. Die Vier könnten unterschiedlicher nicht sein und doch gibt es eine Sache die sie eint, auch wenn diese letztendlich ihr aller Ende bedeuten könnte. Als ihnen das bewusst wird, scheint es allerdings bereits zu spät.

"Sie waren alles andere als eine fröhliche Reisegruppe. Der Kämpfer war ein grimmiger Kerl, der Kevron nicht ausstehen konnte und daran wenig Zweifel ließ, so große Mühe sich Kevron auch gab, wie ein ehrlicher Mann zu erscheinen. Die Magierin war von zwei Leuten eingenommen, nämlich dem Prinzen und sich selbst, und wenn sie Kevron überhaupt einmal eines Blickes würdigte, war der verächtlich. Und zwischen ihnen allen stand Tymur Damarel, der versuchte, einem jeden ein guter Freund zu sein, was dazu führte, dass sie einander diese Freundschaft neideten."

Meine Meinung
Im Nachhinein kann ich sagen, dass ich mir unter dem Buch etwas ganz anderes vorgestellt habe. Sicher, wenn man das Cover betrachtet, ahnt man, dass es inhaltlich ruhiger zugehen wird, als wenn dort ein Schwert schwingender Kämpfer oder ähnliches abgebildet worden wäre.
Vier schattenhafte Gestalten auf einer Brücke; auf einer Reise. Das umschreibt den Inhalt des Buches eigentlich ziemlich genau, denn viel mehr passiert auf den ersten paar hundert Seiten auch nicht. Insgesamt liest sich das Buch auch eher wie ein ewiglanger Prolog, als der Beginn einer Reihe, denn spätestens wenn man das Ende des Buches gelesen hat, wird klar, dass die eigentliche Geschichte erst jetzt richtig anfängt. Und tatsächlich würde ich jetzt schon gerne wissen, wie es mit Tymur und seinen Gefährten weitergeht, auch wenn ich mich mit dem Buch die meiste Zeit über sehr schwer getan habe.
Der Schreibstil war mir viel zu ausschweifend und ich hatte das Gefühl nur so mit unnützen Informationen überschüttet zu werden. "Too much information", wie es so schön heißt.
Dementsprechend kurz war auch meine Aufmerksamkeitsspanne, sodass ich es nicht geschafft habe, mehr als zwanzig Seiten am Stück zu lesen. Die Geschichte hat mich ab und an einfach regelrecht gelangweilt. Sie kriecht in Schachtelsätzen verpackt schneckentempoartig voran, bewegt sich immer irgendwo zwischen vorhersehbar und unlogisch, ab und an auch wirr, und ich hatte das Gefühl, dass sich die Autorin viel Füllstoff bedienen muss, um das Buch überhaupt zum Ende zu bringen. Selbst jetzt noch wundere ich mich, wie Maja Ilisch es geschafft hat, dass bisschen Handlung auf fasst 500 Seiten zu strecken, denn im Grunde genommen, lässt sich der Plot in wenigen Sätzen zusammenfassen.

"Am Ende lebten sie alle eine Lüge. Als man ihn zu einem steinernen Wächter machte, hatte Lorcan sich gefühlt wie ein Betrüger, wie einer, der sich diesen Titel erschlichen hatte, ohne ihn zu verdienen, als hätte er geschummelt, wo es darum ging, dem Locken einer schönen Frau zu widerstehen, weil er sich im Leben für keine Frau, ob schön oder hässlich, interessiert hatte. Vielleicht war er überhaupt erst ein Steinerner Wächter geworden, um sich selbst seine Männlichkeit zu beweisen - doch all die Jahre über hatte Lorcan sich einreden können, dass er der Einzige unter ihnen war, der noch wirklich an das glaubte, wofür er stand, der auf seinem Posten blieb bis zum bitteren Ende."

Dass Maja Ilisch schreiben kann, lässt sich nicht abstreiten. Abgesehen von ein paar "Ausreißern" drückt sie sich gewählt und stilvoll aus. Man merkt, dass viel gearbeitet und überarbeitet wurde und da liegt wahrscheinlich auch der Hund begraben. Ein bisschen Füllstoff hier, ein bisschen Füllstoff da. Ähnlich wie bei Menschen die viel reden ohne tatsächlich etwas zu sagen. Es gibt so viel Anderes, was mich interessiert hätte. Dinge über Land und Leute zum Beispiel. Wie leben sie? Von was leben sie? Worauf baut sich der Reichtum des Königreichs Neraval auf? Infrastruktur, Militär usw.? Stattdessen gibt es dann halt die obligatorischen Kaufleute, Marktplätze, Bauern und Wirtsleute und selbst der königlichen Familie sind nur ein paar Zeilen vergönnt. Ich kann mich noch nicht einmal daran erinnern, ob das Land überhaupt eine Königin hat.
Alles bleibt blass und rauscht eindruckslos an einem vorbei.
Auch - und das ist wahrscheinlich der eigentliche Knackpunkt- über die Vergangenheit der Gefährten erfährt man nicht sonderlich viel, was überrascht, wenn man weiß, dass die Geschichte abwechselnd aus der Sicht von Enidin, Kevron und Lorcan erzählt wird. Das ist für mich mitunter aber eine der Grundvoraussetzungen wenn es darum geht, dem Leser eine Figur näher zu bringen. Ich kann jemanden erst dann wirklich verstehen und mit ihm mitfühlen, wenn ich seine Vergangenheit kenne. So aber bekommt man hier eben diese vier Fremden präsentiert, die sich aus den fragwürdigsten Gründen zusammentun, die man sich vorstellen kann, um dann hunderte von Seiten lang auf die merkwürdigste Art und Weise umeinander herumzuschawänzeln.
Zumal sie alle Vier ständig von einer Laune in die nächste hechten. Ist Kevron in einem Moment noch bedrückt, ängstlich oder sonst was, lacht er im nächsten Moment schallend los und so geht es eigentlich die meiste Zeit, sodass man ab und an das Gefühl hat, es mit einer Gruppe Irrer, auf Anstaltsurlaub zu tun zu haben. Wenn man sich die Hintergründe ein bisschen zusammenreimt, kann man sich das zwar irgendwie erklären, aber ob diese Erklärung stimmt, wird man wohl erst in den Folgebänden erfahren. Wirklich sympathisch war mir jedenfalls keiner von ihnen. Am ehesten noch die Magierin Enidin, weil sie nicht auf den Mund gefallen ist, sich den Männern gegenüber durchzusetzen weiß und Biss hat.

"Wenn Enidin die Augen schloss, konnte sie die Strukturen der Welt fühlen, die Linien, die alles durchflossen, so ganz anders als in der Stadt: Sie waren freier und wilder, hier gab es weniger, das den Raum krümmte; so wenige Schicksale galt es hier zu beeinflussen, dass die Linien in ihrer ursprünglichen Form blieben und doch aufeinander reagierten, im Kleinen wie im Großen und sogar auf Enidin, die nichts weiter tat, als hindurchzureiten. Jeder Hufabdruck, den ihre Pferde hinterließen, jedes abgekaute Grasbüschel von Herrn Florels Pferd, das trotz all seiner Versuche, es zum Laufen zu bringen, immer wieder stehen blieb und am Straßenrand zu grasen begann, hinterließ seine Spuren in der Wirklichkeit."

Wie Maja Ilisch Enidins Art Magie anzuwenden und ihre Sicht auf die Welt beschreibt, war für mich eines der wenigen Lichtblicke in diesem Buch. Ein Zauberer, der mit den Fingern schnippt oder einen Zauberspruch aufsagt, reicht vielleicht für Kindergeschichten, abgesehen davon darf und sollte es aber gerne etwas mehr sein.
Enidin wirkt Magie auf eine Art, bei der man sich vorstellen kann, dass es so etwas tatsächlich gibt. Ähnlich wie bei "Der Name des Windes" von Patrick Rothfuss. Außerdem waren das einige der wenigen Momente in denen ich das Gefühl hatte, tatsächlich einen Fantasyroman in der Hand zu halten. Es gibt zwar auch eine Stelle an der die Gruppe zur Abwechslung mal einer greifbaren und nicht-menschlichen Bedrohung ausgesetzt ist, aber so schnell wie es kommt, so schnell ist es auch wieder vorbei und hatte wahrscheinlich nur den Zweck einen Punkt auf der "Fantasy-Roman-Checkliste" abzustreichen. Im Nachhinein wurde es dann weder großartig thematisiert noch gibt Maja Ilisch Preis, um was für Wesen es sich handelt. Kein Einzelfall denn das meiste, ob fantastisch oder nicht, bleibt schwammig oder verläuft ins Nichts und wenn es das zur Abwechslung mal nicht tut, dann nur deshalb, weil es auf das Eine hinausläuft, was man von Anfang an erahnen kann. Dementsprechend wenig überraschend fand ich die Enthüllung am Schluss.

"Der Junge war zu klein für Vorsicht, zu dumm oder zu mutig. Es machte ihm nichts, dass die Stufen so alt und krumm waren wie die Gruft selbst, dass die Zeit, die von der Schriftrolle abperlte wie Wasser von einem Blütenblatt, ihren Zahn umso mehr an ihnen ausgelassen hatte. Ausgetreten waren sie aus jenen Tagen, als es noch ein reges Kommen und Gehen gab-, lange vergangene, lange vergessene Zeiten, älter, als sich auch nur die Schriftrolle erinnern konnte - von Füßen, die nicht zu Menschen gehörten. Sie führten in das Reich des Steins, die Welt der Steinernen Wächter, deren Heimat dort unten lag und ihr ganzes Leben, wenn es noch ein Leben war: kein Sinn, kein Zweck, keine andere Aufgabe, als die Schriftrolle zu beschützen, vor der Welt, und die Welt vor der Schriftrolle."

Fazit
Ein überraschend schwacher Auftakt im Stil von "Der Herr der Ringe", den ich so nicht erwartet habe. Erfahrene Fantasyleser sollten eher nicht zu diesem Buch greifen. Ich könnte mir aber gut vorstellen, dass sich dieses Buch wunderbar für diejenigen eignet, die sich mal im Fantasygenre ausprobieren möchten, sich aber bislang nicht getraut haben.