Sprachlich meisterwerklicher britischer Krimi mit zeitgeschichtlicher Note

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nadines_buecher Avatar

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Wie es scheint, haben im Winter 1931 alle Kinder bzw. Schwiegerkinder ein Motiv, Adrian Gray umzubringen. Getan hat es dann wohl jemand, der einen vergleichsweise niederschwelligen Grund gehabt haben muss, möchte man der Vorstellung des Patriarchen in Kapitel 1 und der Notiz seines Ablebens entnehmen. Vorrangig geht es, wie immer, um den schnöden Mammon. Ein Filius ein Emporkömmling, der nach einem Adelstitel strebt und seiner Geliebten Schweigegeld schuldet, ein Schwiegersohn, der mehr oder weniger windige Geschäfte macht, ein recht mittelloser Künstler, in der Ehe unzufriedene, gebrochene Töchter, die sich wieder im Elternhaus einquartieren und den Trost des Bekannten suchen. Irgendwie über allem schwebend ein totes Geschwisterkind. Eine Mutter findet nicht statt, zumindest findet sie keine Erwähnung in den ersten Abschnitten der Geschichte. Augen auf bei der Partnerwahl scheint für die meisten Gray-Geschwister zu gelten, haben sie doch aus den richtigen Gründen den falschen Lebensgefährten oder die falsche -gefährtin gewählt - oder umgekehrt. Den einen fehlt es, wie gesagt, an Geld, den anderen am Erben, schlimmstenfalls beides. Dinge, die auf die Seelen der doch so unterschiedlichen und dennoch ähnlichen Charaktere drücken. Und so machen sie sich noch untereinander und gegenseitig das Leben schwer, halten nicht viel voneinander, bedauern sich selbst oder die anderen um ihre Stellung in der Familie und wohl auch ihre schwere Kindheit. Das alles kommt so herrlich britisch und durch den Stil, die Ausdrucksweise der Zeit in der der Kriminalroman spielt, daher, dass es eine wahre Freude ist, Kapitel für Kapitel den Damen und Herren zu folgen. Die Unterkapitel tragen die Namen des jeweiligen Sohns bzw. der jeweiligen Tochter Gray, die handelnden Personen und ihre Partner werden vom allwissenden Erzähler vorgestellt - und die Meinung des Vaters und der Geschwister samt Anhang über den oder die Betreffende gleich mit. Das Setting ist in der Nähe von Fulham angesiedelt, Großbritannien ist noch nicht durch den zweiten Weltkrieg erschüttert und Frauen probieren zumindest einmal aus, selbständig zu denken und zu handeln, wenn auch noch mit recht unterschiedlichem Erfolg.
Ein herrliches Stück britischer Zeitgeschichte, gespickt mit dem richtigen Schuss an Familiendrama, in wunderbarem Duktus geschrieben, die Abgründe einer Familie pointiert dargestellt. So lasse ich mir einen Pageturner gefallen.
Das Cover könnte auch aus einer andere Zeit stammen, auch wenn man ihm ansieht, dass es grafisch mit der neuesten Technik erstellt ist. Es unterstreicht die weihnachtliche Jahreszeit, in der der Mord passiert. Was es wohl mit der zurückgelassenen Kasperpuppe in der Papiertüte auf sich hat?