Anspruchsvoller und ziemlich ungewöhnlicher Krimi

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takabayashi Avatar

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Allmählich kann man es schon als Tradition betrachten, dass Klett-Cotta zur Weihnachtszeit einen britischen Krimiklassiker als bibliophiles Leinenbändchen herausbringt. Dieser scheint sich von den gängigen Cosy-Krimis zu unterscheiden, denn ziemlich bald weiß man, wer der Mörder ist - also definitiv kein klassischer Whodunnit. Zu Beginn kommt die Vorstellung einiger Familienmitglieder sehr analytisch und etwas dröge daher, dann erfährt man, wer der Mörder ist, und ich wurde etwas ungeduldig und dachte, was kann jetzt schon noch kommen! Zum Glück habe ich weitergelesen und wurde dafür belohnt. Denn was folgt, ist eine Charakter-, Gesellschafts- und Zeitgeiststudie mit viel Tiefgang, eine Familiengeschichte, die auf ihre Weise sehr spannend ist.
Die zahlreichen Sprösslinge von Adrian Gray sind mehr oder weniger alle in Geldnot und wollen ihn während der Feiertage um finanzielle Unterstützung bitten. Doch auch Adrian selbst hat sich vom Schwiegersohn zu spekulativem Anlagegeschäften überreden lassen und hat viel Geld verloren. Die Grays sind sich auch untereinander nicht sonderlich gün und die Krise scheint vorprogrammiert. Und dann passiert es - Adrian Gray wird getötet. Das war nicht geplant, es passierte im Affekt und der Mörder selbst ist zutiefst erschrocken. Schafft er es, seine Spuren zu verwischen, den Verdacht auf jemand anderen zu lenken und zu entkommen? Damit befasst sich der größte Teil des Romans und die Frage, wie am Ende alles ausgehen wird erzeugt beim Leser durchaus Spannung.
Wenn man sich darauf einlässt und die (auch durch Aufmachung, Klappentext und Werbung) geweckten Erwartungen an einen klassischen britischen Landhaus-Krimi über Bord wirft, dann wird man sehr gut und tiefsinnig unterhalten. Und bekommt einigen Stoff zum Nachdenken, z.B. über moralisches Verhalten. Empfehlung für anspruchsvolle Leser, wer sich nicht vom Whodunnit-Schema lösen will oder kann, sollte lieber die Finger davon lassen.