Düster und geheimnisvoll

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Clara wächst behütet und umsorgt auf. Aufgrund einer Krankheit verlässt sie kaum das Haus. Erst als sie erwachsen ist, findet sie Erfüllung darin, dem Gärtner von Kew Gardens in seinen Gewächshäusern zu helfen. Die wissbegierige, kluge junge Frau wird schnell zur Expertin und so wundert es nicht, dass sie es sein soll, die auf dem Landsitz Shadowbrook den Aufbau eines neuen Gewächshauses betreuen soll.

Die Gärten, die Clara in Shadowbrook erwarten sind, wundervoll. Es grünt, es blüht, alles wächst und gedeiht. Clara ist begeistert von der Fülle und der Hingabe, mit denen die Gärten gepflegt werden. Umso verwunderter ist sie, dass das Gebäude selbst eher verwahrlost ist. Es werden nur wenige Räume genutzt. Die obere Etage zu betreten ist strengstens verboten. Nur der Hausherr hat dort Zutritt, und dieser ist meist verreist. Nachts hört Clara Schritte, es raschelt und scheinbar lauert jemand vor ihrer Tür. Die Haushälterin und die Dienstmädchen sind verängstigt, aber Clara glaubt nicht an Geister, sondern versucht, rational an die Geheimnisse des Hauses heranzugehen. Immer tiefer taucht sie so in die Geschichte des Hauses und seiner früheren Besitzer ein, wobei sie entweder auf Gerüchte oder auf eine Mauer des Schweigens stößt.

“ Das Geheimnis von Shadowbrook“ entfaltet schnell eine Sogwirkung, der man sich kaum entziehen kann. Ist es zunächst Claras Umgang mit der Glasknochenkrankheit, die ihr Leben umfänglich bestimmt, so tritt schnell das Geheimnis von Shadowbrook in den Vordergund. Susan Fletcher gelingt es, schon bald eine düstere, geheimnisvolle Atmosphäre aufkommen zu lassen, die an „Wuthering Heights“ oder „Rebecca“ erinnert. Ein altersschwacher kleiner Landsitz mit düsterer Vergangenheit, ein kleines Dorf, das sich gern mit Klatsch und Tratsch beschäftigt, ein Grab, auf dem ein Name fehlt. Dem gegenüber stehen die prächtigen, sonnendurchfluteten Gärten, die so sprachgewaltig beschrieben werden, dass man das Gefühl hat, mitten in ihnen zu stehen und den Duft der Blüten riechen zu können.

Die Geschichte spielt im Jahre 1914, im Sommer vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Die politischen Wirren sind weit entfernt. In Shadowbrook und dem angrenzenden Dörfchen Barcombe scheint die Zeit stillzustehen. Dies wird durch die Geistergeschichte und das Forschen in der Vergangenheit noch unterstrichen. Dennoch klingen auch aktuelle Bezüge wie die Sufragettenbewegung und das weibliche Selbstverständnis durch. Clara, die eine freie Erziehung genoss, die zum selbst Denken animiert, tritt sehr forsch auf und selten so, wie es die anderen von ihr als Frau erwarten. Ihre Vorstellungen von Gleichberechtigung überträgt sie dann auch auf den „Geist“ der jungen Frau, die früher auf Shadowbrook lebte. So ist „Das Geheimnis von Shadowbrook“ weit mehr als nur eine atmosphärische Geistergeschichte. Es wird ein Sittengemälde gezeichnet und von der Rebellion einer jungen Frau erzählt, die ohnehin das Gefühl hat, nicht viel zu verlieren zu haben. Gleichzeitig erfährt Clara eine wunderbare Entwicklung, die sie einen Platz im Leben finden lässt.

Mir hat „Das Geheimnis von Shadowbrook“ richtig gut gefallen und ich habe es geliebt, zusammen mit Clara in der drückenden Sommerhitze das Geheimnis des Landsitzes zu ergründen. Hier gibt es einige unvorhergesehene Wendungen, was ich natürlich immer sehr gern mag. Aber auch sprachlich ist der Roman ein Genuss, weshalb ich das Buch uneingeschränkt empfehlen möchte.

© Tintenhain