Solide Unterhaltung

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singstar72 Avatar

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Es ist schwierig, dieses Buch in eine Schublade zu stecken. Man könnte es mit einigem Recht als Krimi bezeichnen; der Verlag hat sich jedoch für das Etikett „Roman“ entschieden. Die Leseprobe hatte mich neugierig gemacht, und ich wollte selber herausfinden, als was ich das Buch bezeichnen würde. Mein Fazit? Es ist ein psychologisch ausgerichteter Spannungsroman mit thrillerartigem Ende, der auf sehr solide Weise gute Unterhaltung bietet.

Worum geht es? Eine junge, alleinerziehende ( na ja, halb alleinerziehende ) britische Maklerin zieht ihres Sohnes wegen wieder in das Küstenstädtchen ihrer Kindheit. Es fällt ihr schwer, Anschluss zu finden; ihr Sohn wird sogar zunächst von den anderen Kindern ausgeschlossen. Dies mag ein Grund sein, warum sie sich zu einem unbedachten Schritt hinreißen lässt. Sie erzählt im „Buchclub“ von einem Gerücht, das sie auf dem Schulhof von anderen Müttern gehört hat. Eine bekannte Kindermörderin soll unter neuer Identität in dem Städtchen wohnen. So kommt sie zwar ins Gespräch, muss aber entdecken, dass das Verbreiten von Gerüchten ganz eigene Folgen zeitigt, die man nie wieder zurücknehmen kann…

Mehr muss man über die Handlung eigentlich nicht wissen. Im Wesentlichen geht es in dem Buch um die Atmosphäre in einer englischen Kleinstadt. Darum, wie man wo Anschluss findet, wie sich was verbreitet. Das damalige Verbrechen (immerhin Jahrzehnte her) läuft zunächst am Rande im Buch mit. Man bekommt ein paar Kapitel aus der Sicht der damaligen Täterin zu lesen, und auch ein paar alte, fiktive Zeitungsartikel (die waren wirklich gut gemacht!). Die Protagonistin trifft unterdessen Frauen in diesem Städtchen, mit denen sämtlich etwas nicht zu stimmen scheint. Vermutungen schießen ins Kraut. Und erst im letzten Drittel des Buches gerät die Protagonistin selber in den Fokus. Ab hier überschlägt sich das Buch etwas, und wird zum Thriller. Ganz organisch war dieser Wandel nicht – vorher herrschte einer eher beschauliche Erzählweise vor, die auch ihre Längen hatte. Nur um dann in den letzten zwei drei Kapiteln „so richtig Gas zu geben“. Für mich nicht ganz glaubwürdig – aus literarischer Sicht!

Bis über zwei Drittel hat mir das Buch also richtig, richtig gut gefallen. Es war in etwa die Atmosphäre eines „Inspector Barnaby“; eine Ortschaft mit Leuten voller Marotten und Schrullen, die sich auch schon mal gegenseitig angiften. Das Thriller-Ende war allerdings überdreht und unnötig. Und hatte meiner Ansicht nach auch logische Stolperstellen.

Sprachlich war das Ganze angenehm zu lesen. Es wurde glaubhaft die Perspektive einer heutigen Mutter vermittelt, die beruflich erfolgreich ist, aber dennoch emotional nicht ganz ausgewogen lebt. Die Gespräche im Buchclub und auf der Straße, auch auf dem Schulhof, habe ich bildlich vor mir gesehen!

Ich würde das Buch eher einem Romanleser empfehlen, keinem ganz alteingesessenen Krimi-Leser. Und man sollte sich mit der britischen Mentalität näher befasst haben. Wenn man dann noch zum Schluss hin ein Auge zudrückt – dann kann man das Buch wohl als „gelungen“ bezeichnen.