Dystopie im eigenwilligen Schreibstil

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Die Welt, in der die junge Gaia Marinos lebt, besteht in ihrer Form erst seit „Jenem Tag“. Seither gilt „das Gesetz der Natur“, das dem dystopischen Roman von Solomonica de Winter den Titel gegeben hat. Das darin beschriebene zukünftige Amerika ist weitgehend abgeschnitten von der restlichen Welt. In diesem neugegliederten Land haben sich über die Bundesstaaten hinweg vier Stämme gebildet, die sich gegenseitig als Feind sehen. In jedem Stamm ist nur eine einzige Person mit Lesen und Schreiben beauftragt.
Gaia lebt mit zwei erwachsenen Männern zurückgezogen im Wald. Einer von ihnen hat ihr das Jagen beigebracht, der andere das Lesen, welches er sich selbst zu früherer Zeit im Familienkreis heimlich angeeignet hat. Als ihr Aufenthaltsort entdeckt wird, gerät sie in Gefangenschaft. Inzwischen hat sie eine mystische Eigenschaft entwickelt, die für die Kriegsführung nützlich ist. Sie wünscht sich ihr Leben im Wald zurück. Aber auch der ihr anvertraute Auftrag, Bücher aus alten Zeiten an einem abgelegenen Ort zu finden, hat für sie ihren Reiz. Darin wurden Worte der Vergangenheit festgehalten.
Man bezeichnet Gaia als Mutantin, wobei der Begriff im Sinne von verändertem Individuum gebraucht wird. Die Veränderung wird in ihrem Aussehen deutlich und in einer bestimmten Eigenschaft. Seit Jenem Tag hat es noch mehr solcher Individuen gegeben, aber die Menschheit war bestrebt, sie auszurotten. Der genaue Grund wird nicht beschrieben und auch nicht, wodurch es zu der Veränderung kam. Vielleicht findet Gaia die Antworten in den verborgenen Büchern, die sie sucht. Weil der Roman Teil einer Serie liest er eventuell darüber in der Fortsetzung.
Die Protagonistin hat ihre Eltern verloren. Das Leben in den Wäldern ist mühsam, aber Gaia erfreut sich auch an der Natur. Für sie ist Gerechtigkeit und Güte von Beginn an wichtig. Durch die Gefangennahme gerät sie immer wieder in Situationen, in denen sie für sich abwägen muss, was gut ist und was böse. Oft ist ihr Leben in Gefahr. Die Autorin wirft indirekt die Frage auf, wie viel ein Leben Wert ist. Die neuen Gesetze der Stämme regeln das Zusammenleben der Menschen auf eine rigide Weise. Ausschluss aus der Gemeinschaft und Tod drohen den Abweichlern ebenso wie den Angehörigen. Entsprechend der harten Linie, gestaltet sich der Kampf der Stämme gewaltsam. Gaia durchläuft eine harte Ausbildung in militärischer Auseinandersetzung. Von ihr wird Gehorsam verlangt ohne Rücksicht auf ihre eigenen Gefühle.
Im Amerika des Romans ist die Rollenverteilung klassisch, wobei Gaia eine besondere Position einnimmt. Ihre Einzigartigkeit macht sie überall bekannt und zunehmend ist es für sie schwieriger, sich zu verbergen, weil ihr Ruf ihr vorauseilt und stigmatisiert sie. Ihr Anspruch darauf, gerecht zu handeln, gerät immer wieder ins Wanken. Es gelingt ihr nicht, auf Rache zu verzichten. Gaia spürt zunehmend die Last ihrer Schuld für ihre Handlungen, die keine Güte zeigen.
Der Schreibstil der Autorin ist eigenwillig. Er wirkt manchmal distanziert und versucht Gaias Entscheidungen zu begründen. Gelegentlich finden sich Balladen in den Kapiteln. Sie lenken die Aufmerksamkeit des Lesenden auf sich. Im Mittelteil kommt es während der Kampfvorbereitungen zu Längen.
Der Roman „Das Gesetz der Natur“ von Solomonica de Winter hatte auf mich eine unerwartet fesselnde Wirkung. Bestürzt verfolgte ich die Entwicklung der Stämme im neuen Amerika, die meiner Meinung nach wenig aus dem Fehlern ihrer Vorfahren gelernt haben. Zum Ende hin bleibt die Hoffnung, dass Gaia in der Fortsetzung der Serie durch ihre Entdeckung ein Stück Frieden in die Welt tragen kann. Aufgrund der teilweise gewalttätigen Darstellung mancher Aktionen vergebe ich eine eingeschränkte Leseempfehlung an ältere Leser von Dystopien.