So kann man die Jüngsten an Weltliteratur heranführen

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
kleine hexe Avatar

Von

Oscar Wildes Klassiker der Jugendliteratur ist immer wieder erfrischend zu lesen. Jetzt aber, in dieser Neuauflage ist es besonders schön. Die kleinen und großen Zuhörer und Leser können die Geschichte lesen, sehen auf den Bildern und hören, den vorgelesenen Text und die Musik. Genial.
Besonders hervorzuheben ist der kursiv gedruckte Text im Buch, der die Erklärungen zur gehörten Musik gibt. Wir hören Musik, so, pur, oder in der Oper, oder Filmmusik, wo sie uns fast gar nicht auffällt, oder in einem Hörbuch. Aber wie sie entsteht, wie Ideen im Hörbuch oder im Film oder in der Oper musikalisch aufgegriffen werden, darüber haben wir Laien uns noch keine Gedanken gemacht. Musik soll in diesen Fällen die Handlung unterstreichen. Aber wie der Komponist an die Sache rangeht, war bis jetzt Nebensache. Henrik Albrecht aber erklärt uns, wie und warum er seine Musik so und nicht anders komponiert hat. Wie stellt man Flecken musikalisch dar? Oder: Familie Otis, optimistisch, freundlich, von europäischer und britischer Geschichte und Tradition gänzlich unbeleckt, stammt aus den USA. Also verwendet Henrik Albrecht den Yankee Doodle als ihr Leitmotiv. Oder: wie kann man musikalisch eine Kissenschlacht darstellen? Gar nicht so einfach. OK, Vivaldi hat ein ganzes Jahr musikalisch dargestellt, das Sommergewitter habe ich immer noch im Ohr. Respighi hat vier Vögel musikalisch beschrieben, im schönsten Verismus. Aber Blutflecken oder eine Kissenschlacht?
Die Zeichnungen von Sonja Wimmer sind bezaubernd. Nicht so süß wie ein klassischer Walt-Disney-Film, aber auch nicht zu abstrakt, um das Verständnis zu erschweren, und auch nicht im Manga-Stil, um die Handlung zu erschweren. Ich würde sagen, die Zeichnungen haben von allem etwas. Die überlangen Gliedmaßen auf der Doppelseite (18 - 19) auf der die Blutflecke diverse Farben annehmen erinnern eben an Mangas, die Kissen werfenden Zwillinge (Doppelseite 14 - 15) sind ein so klares Bild, wie man es von Disney erwarten könnte, um zu betonen, das sind etwa siebenjährige Kinder die nichts bedrohliches in einem Gespenst sehen, nur einen Störenfried, den sie mit den Mitteln der Kinder vertreiben: durch Kissen Werfen. Dafür aber zeigt das beworfene Gespenst schon Züge einer Karikatur: es verliert im Flug den Kopf, ein Schuh kommt vom Fuß ab und offenbart ein Loch am großen Zeh. Auch Gespenster müssen von Zeit zu Zeit Strümpfe stopfen. Das in meinen Augen ernsteste Bild ist auf Seite 28, ein kleines Bild: Virginia mit dem Schmuckkästchen, nachdem sie aus der Todeskammer des Gespenstes zurück zu ihrer Familie kehrt. Man sieht es ihr an, wie mitgenommen sie ist, wie sie mit dem Gespenst gelitten hat und dass sie auch etwas gereift ist. Von der ganzen Familie Otis hat Virginia das Gespenst einzig ernst genommen, hat ihm zugehört, hat es nicht verraten, als es sich aus Virginias Farbkasten bedient hat.
Ja, in der Tat, so kann man spannende Weltliteratur den Jüngsten auch schmackhaft machen.