Der Mythos vom amerikanischen Traum

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annajo Avatar

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Jende Jonga wandert nach Amerika ein. In New York arbeitet er hart um seine Frau Neni und seinen 6-jährigen Sohn zu sich holen zu können. Neni liebt New York und hofft auf eine erfolgreiche Zukunft als Apothekerin. Dafür studiert sie hart neben ihren Pflichten gegenüber Kind und Mann wie sie ihre Traditionen verlangen. Als Jende einen Job als Chauffeur bei dem Wall-Street-Banker Clark Edwards bekommt und Neni ebenfalls den Sommer über bei den Edwards arbeiten darf, scheint es für die Jongas endlich nach oben zu gehen. Doch dann bricht die Finanzkrise über Amerika herein und die Edwards sind durch Clarks Managerposten bei Lehman mittendrin. Das wirkt sich auch auf die Jongas aus, die einerseits die Probleme der Reichen hautnah miterleben, andererseits selbst um ihr Überleben und ihren großen Traum von Amerika kämpfen müssen.

"Das geträumte Land" ist ein eindrucksvolles Buch und gerade aktueller den je. Die Jongas sind nur mit einem Studentenvisum bzw. einem in der Schwebe hängen Asylantrag in den USA. Dementsprechend haben sie keine so genannte Greencard und es gestaltet sich schwierig, gute Jobs zu bekommen. Die (wahrscheinlich ungewollten) Parallelen zu Europa machen die Situation noch viel greifbarer und bedrückender. Die kleine Familie ist aus Kamerun nach Amerika ausgewandert, um ein besseres Leben zu führen. Wenn nicht für sich selbst, dann wenigstens für die Kinder. Doch vom großen Traum bleibt erst einmal wenig übrig. Sie hausen in einer Kellerwohnung voller Kakerlaken und müssen feststellen, dass ihnen viele Dinge verwehrt bleiben aufgrund ihres Aufenthaltsstatus'. Ihrem Existenzkampf gegenüber stehen die Probleme der Edwards und ihrer Freunde aus der High Society. Sprüche von Mrs. Edwards wie "in Kamerun sind wenigstens alle arm, da ist es nicht so schlimm, arm zu sein" lassen schwer schlucken und eine Wut aufkommen auf die Selbstgerichtigkeit, Ignoranz und das Selbstmitleid dieser Leute, die selbst in Notsituationen noch andere herabzusetzen wissen. Und trotzdem empfinden Jende und Neni tiefes Mitleid für die Edwards, deren Ehe alles andere als beneidenswert ist. Sie bleiben positiv und mitfühlend und versuchen denen, die sich später selbst mitleidslos zeigen sollen, mit ihren bescheidenen Möglichkeiten zu helfen. Nicht nur hier, sondern auch an vielen anderen Stellen zeigt sich der Einfluss der Mentalität der Jongas und ihrer Herkunftskultur auf ihren Alltag und ihren Umgang mit den Eigenheiten der amerikanischen Kultur. Aber auch die Jongas gehen nicht bedingungslos gemeinsam durch Dick und Dünn. Auch hier beginnt die angespannte finanzielle und emotionale Situation - das niedrige Einkommen, die schlechten Wohnzustände, das Warten auf das Asylgerichtsverfahren - die Beziehung zu erodieren. Hier wird auch deutlich, wie schwer es ist, die bisherige Identität abzulegen oder an die neuen Gegebenheiten anzupassen.

Es ist unglaublich schwer, diesem so vielschichtigen Buch mit ein paar Zeilen gerecht zu werden. Es ist so komplex wie das Muster auf dem Cover. Es reißt so viele verschiedene Themen an, die problemlos ineinander greifen und ein deutliches, lebensnahes Bild des Lebens der Jongas in New York zeichnet. All ihre Kämpfe um ihren großen Traum schlägt man mit ihnen zusammen. Jeden Rückschlag für die beiden spürt der Leser regelrecht physisch und am Ende bleibt Enttäuschung darüber zurück, dass der amerikanische Traum längst nicht mehr ist als ein Mythos. Mich hat dieses Buch sehr beeindruckt und es hat mir einen tiefen Einblick in die Träume und Probleme von Migranten und Flüchtlingen gegeben. Gleichzeitig ist das Buch nicht prinzipiell deprimierend und ermahnend angelegt, sondern die Jongas bewahren sich oft ihre Zuversicht und so beginnt auch der Leser wieder, ein Fünkchen davon zu verspüren. Ein absolutes Highlight des Lesejahres 2017.