Der Traum von Amerika

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„The one book Donald Trump should read right now!“

Abgesehen davon, dass wir mittlerweile wissen, dass Donald Trump anders als sein Vorgänger im Amt des amerikanischen Präsidenten nicht liest, ja sogar den Geruch von Büchern nicht ausstehen kann, bestenfalls seinen Schreibtisch damit zupflastert, mutet die Empfehlung, die die Washington Post im August letzten Jahres, also lange bevor Trump gewählt wurde, lange bevor irgendjemand auch nur ernsthaft befürchtet hätte, er könnte tatsächlich gewählt werden, mutet diese Leseempfehlung für Imbolo Mbues „Behold the dreamers“ ihrerseits wie ein Traum an.

Einige Wochen nach Amtsantritt glaubt wohl kaum jemand, Trump würde sich durch ein literarisches Werk in irgendeiner Form in seinem Weltbild beeinflussen lassen. Und sei es auch noch so klug und differenziert, gleichzeitig so leicht und unterhaltsam, würde den berühmten Nerv der Zeit so genau treffen, wie der Roman der seit zehn Jahren in den USA lebenden, aus Kamerun stammenden Imbolo Mbue.

Einiges an eigener Erfahrung ist sicher eingeflossen in die Geschichte der Einwandererfamilie Jonga. Nicht nur deren Heimatort Limbe ist derselbe wie der der Autorin, auch die Zeit der Übersiedlung stimmt überein.

2004 reist Jende Jonga mit einem vom schon länger in Amerika lebenden und als Anwalt recht erfolgreichen Cousin Winston finanzierten Visum in die USA ein. Zunächst läuft auch alles sehr positiv. Nach zwei Jahren kann seine Frau Neni mit einem Studentenvisum und dem kleinen Sohn Liomi folgen. Die Zeiten sind schwer, aber mit Jendes Job als Taxifahrer und Nenis Zuverdienst als private Pflegerin kommt die kleine Familie einigermaßen über die Runden, unterstützt von Winston und aufgehoben in der afrikanischen Gemeinde New Yorks.

2007 scheint es endgültig aufwärts zu gehen, als Jende eine gut bezahlte Anstellung als Chauffeur eines Managers der Lehmann Brothers Bank erhält. Der Leser ahnt natürlich, was bald folgen wird, wir befinden uns am Vorabend der Lehmann Pleite, dem Beginn der gigantischen Wirtschaftskrise, die 2008 die ganze Welt erschüttern wird.

Aber noch scheint alles wie das große Glück, wie der Traum, den die Jongas wie wohl alle Immigranten zu allen Zeiten vom Leben in den USA geträumt haben.

„Ich glaube, wenn einer Amerikaner ist, ist alles möglich. Daran glaube ich fest.“
sagt Jende voller Dankbarkeit zu seinem neuen Chef Clark Edwards, als er diesen durch die Straßen New Yorks fährt.

Ein wenig erinnern diese meist im Auto stattfindenden Szenen zwischen Jende und Clark an Werke wie „Miss Daisy und ihr Chauffeur“, wie sich Menschen mit völlig unterschiedlicher Herkunft und Sozialisation auf engem Raum näher kommen. Aber natürlich ist man im 21. Jahrhundert viel aufgeschlossener, liberaler, spielen diese alten Hierarchien eine viel geringere Rolle. Tatsächlich?

Zwar verhalten sich die Edwards, neben Clark beanspruchen auch dessen Ehefrau Cindy und die beiden Söhne Vince und Mighty die Dienste Jendes und gelegentlich auch Nenis, tatsächlich äußerst freundlich zu ihren Angestellten. Man unterstützt sie mit abgelegter Designerkleidung und dem ein oder anderen Extrascheck, die Kinder schließen sogar Freundschaft mit den freundlichen Afrikanern.

Aber der erfahrenere Winston hat längst alle Illusionen über die Gleichstellung von Schwarz und Weiß längst begraben.

„Die Polizei ist zum Schutz der Weißen da, Brother. Manchmal vielleicht auch für schwarze Frauen und Kinder, aber nicht für schwarze Männer. Nie für schwarze Männer.“
Und tatsächlich wird die ganze Situation auf eine Belastungsprobe gestellt, als der Zusammenbruch des Bankhauses immer näher rückt.

Die schon vorher kriselnde Ehe der Edwards ist dem Stress nicht gewachsen, Cindy spricht immer mehr Alkohol und Tabletten zu, Clark sucht Entspannung bei bezahlten Liebesdiensten. Wie sehr soziale Verantwortung, Liberalität und Empathie nur Fassade waren, wird recht bald deutlich. Jende wird da bald zum Bauernopfer.

„Aber es ist beängstigend, wie schlimm das Ganze noch werden kann (…) wenn die Leute schon anfangen, darüber zu reden, dass sie Economy fliegen und ihre Sommerhäuser verkaufen müssen…“

Dabei kommen die „großen Fische“ natürlich vergleichsweise ungeschoren davon, wird Clark doch sofort von Barclays übernommen. Scheitern wird die Familie schließlich an ihren eigenen Problemen, ihren falschen Fassaden und Werten.

Jende hingegen droht nicht nur das finanzielle Aus, sondern auch das Scheitern seines Asylantrags und die Abschiebung.

Das ganze mag nun etwas klischeehaft klingen – böse, skrupellose Weiße hier, arme, redliche, aber chancenlose Schwarze dort -, ein großer Vorzug an Mbues Roman ist aber gerade die Ambivalenz, mit der alle Personen und Gegebenheiten geschildert werden. Die Edwards sind eigentlich nette Menschen, die aber gefangen sind in ihren eigenen Tragödien und Zwängen.

Nur ganz selten wird die Autorin deutlicher, wenn sie die Plage der Bankenkrise mit den Plagen Ägyptens vergleicht und süffisant bemerkt:

„Der einzige Unterschied zwischen den Ägyptern damals und den Amerikanern heute bestand darin, dachte Jende, dass die Ägypter für ihre eigene Sündhaftigkeit bestraft worden waren. Sie hatten Unheil über ihr Land gebracht, weil sie Götzen verehrt und Menschen versklavt hatten, nur damit sie in Prunk und Glanz hatten leben können. Sie hatten Reichtum über Rechtschaffenheit gestellt und Habgier über Gerechtigkeit. Die Amerikaner hatten nichts dergleichen getan.“
Solche Passagen sind wie gesagt selten. Und die Seite der Immigranten wird auch alles andere als eindimensional gestaltet. Auch ihre Charaktere verändern sich unter dem Druck der äußeren Gegebenheiten.

Jende, der zu Beginn äußerst liebe- und hingebungsvoll seiner Frau und seinem Sohn gegenüber war, sich nicht davor gescheut hat, Neni die Hausarbeit abzunehmen, sie bei ihren Bemühungen, einen Studienplatz für Pharmazie zu erhalten ermutigt und in allem unterstützt hatte, entwickelt sich immer mehr zum machohaften Tyrannen, der seiner Frau verbietet nach der Geburt des zweiten Kindes weiter zu arbeiten und schließlich ausdrücklich gegen Nenis Wunsch, völlig eigenmächtig beschließt, nach Kamerun zurückzukehren.

Und auch Neni, ehrgeizig, zielstrebig, intelligent und selbstbewusst, fällt nichts anderes ein, als sich dieser Entscheidung zu beugen, sich sogar körperlich misshandeln zu lassen.

„Glaubst du, ich bin eine amerikanische Frau? Ich kann meinem Mann nicht einfach sagen, wie ich es haben will. (…) Du weißt nicht, was Jende für ein Mann ist. Er ist ein guter Mann, aber trotzdem ein Mann.“
Was für den westlichen Leser vielleicht unbegreiflich ist, ist für die in Kamerun erzogene Frau aber selbstverständlich. So hat der Roman auch die Unterschiede der Kulturen, das Unverständnis, mit dem sie oft aufeinander stoßen zum Thema. Es gibt auch einen wunderbaren kleinen Einblick in die Kultur Kameruns.

„Das geträumte Land“ ist ein Buch der Desillusionierung. Es zeigt die Verzweiflung der Einwanderer, die ohne Papiere unter materiellen Nöten und von ständiger Angst vor Abschiebung geplagt, sich und ihre Familien über die Runden bringen müssen. Es zeigt die Brüchigkeit des amerikanischen Traums und den unter einer dünnen Fassade von Liberalität versteckten Alltagsrassismus. Es ist die Erkenntnis nicht nur Jendes, sondern auch Clarks, dass das Amerika, an das sie geglaubt haben, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, nur ein geträumtes Land war. Eine Erkenntnis, die gerade in den heutigen Zeiten sehr viele trifft. Aber kann man ganz ohne diesen Traum leben?

Die Autorin schließt sehr geschickt, mit der Landung der Familie auf dem Flughafen von Douala und ihrer Fahrt nach Limbe. Auch Kamerun ist nun für Jende ein solches geträumtes Land geworden. Man kann hoffen, dass seine Träume hier in Erfüllung gehen. Wahrscheinlich wird er aber die Erfahrung vieler Emigranten machen, nicht mehr ganz dazu zu gehören, weder auf der einen, noch auf der anderen Seite.

Imbolo Mbue hat ein wunderbares Buch geschrieben, voller Empathie und Wärme, Präzision und Ambivalenz in der Beschreibung, dabei leicht und unterhaltsam. Es ist tatsächlich ein Buch zur Stunde. Und es ist ein Buch, das, wenn schon nicht Donald Trump, wir alle lesen sollten, gerade jetzt.