Poesie, Märchen und Gesellschaftskritik

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obilot Avatar

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Der erste Roman von Josh Weil "Das gläserne Meer "ist eine Mischung aus Science fiction und einer poetischen Erzählung. Der Autor wurde bereits für seine beiden Novellen mit dem Literatupreis "5 under 35" (den 5 besten aktuellen Schriftstellern unter 35 Jahre) geehrt. In "das gläserne Meer" sind die beiden Zwillingsbrüder Jarik und Dima die Hauptakteure. Ihr Leben wird durch den Bau riesiger Spiegel über der Erdoberfläche bestimmt, welche als überdimensionales Treibhaus genutzt werden, indem sie das Sonnenlicht auch bei Nacht auf die Felder leuchten lassen. Doch während der Entstehung dieses Projekts nehmen die beiden Brüder immer gegensätzlichere Haltungen.

Das Cover ist schön gestaltet und fasst den Inhalt des Buches bildlich perfekt zusammen. Die zahlreichen Kapitelüberschriften sind nicht nur äußert poetisch, was ebenfalls gut zum Gesamtbild des Romans passt, sondern auch sehr schön und kreativ gestaltet. Der Schreibstil ist nicht ganz einfach, teilweise muss man einzelne Passagen zweimal lesen.

Nach dem frühen Tod ihres Vaters und dem geistigen Verfall der Mutter waren Jarik und Dima einst unzertrennlich. Sie hatten nur sich. Doch nun bestimmen die gigantischen Spiegel das gesamte Leben das unter ihnen stattfindet. Es wird nie dunkel. Die Tier- und Pflanzenwelt verändert sich. Der natürlicher Rythmus der Fauna gerät aus dem Gleichgewicht und auf den weit ausgedehnten Felden gedeihen nur noch die genetisch angepassten Pflanzen. Drastische Veränderungen betreffen auch die Lebensgewohnheiten der Menschen. Die Ernteerträge steigern sich um ein vielfaches. Um das Arbeitspensum zu bewältigen betragen die täglichen Schichten ab nun 18 Stunden. Jegliche Freizeit wird auf ein kaum wahrnehmbares Minimum beschränkt. Familiäres Zusammenleben, Hobbys sowie ein Privatleben finden so gut wie nicht mehr statt. Während Jarik in seinem neuen Job immer weiter aufsteigt und trotz aller Widrigkeiten eine Familie gründet, kann sich Dima ebenso wie die verwirrte Mutter nicht in dieses System integrieren. Die Brüder entfremden sich.

Hinter den unterschiedlichen Lebensentwürfen von Jarik und Dima stehen gegensätzliche politische Systeme. Josh Weils Debütroman beschreibt einen überspitzten Kapitalismus. Jeder Individualismus ist aufgrund der langen Arbeitszeiten nicht nur unmöglich, sondern auch gar nicht erwünscht. Das Ausleben persönlicher Neigungen, musischer Betätigungen und gesellschaftliches Zusammensein gehört der Vergangenheit an. Eine erschreckende Vorstellung. Doch so weit hergeholt scheint diese Darstellulng angesichts steigender Burn-Out-Vorfälle in unserer realen Welt gar nicht. Weitere zentrale Motive des Romans beziehen sich auf religiöse Motive. Immer wieder findet man Verweise auf die Bibel, wie z. B. die Bezeichnung "gäsernes Meer", das aus das aus der Offenbarung des Johannes stammt. Des weiteren findet man Anspielungen auf russischen Märchen, wie z. B. "Der goldene Gockel" von Puschkin. Überhaupt spiel Puschkin eine zentrale Rolle in Weils Roman, er wird mehrfach von Dima zitiert und von diesem verehrt.

Insgesamt ein ungewöhnlicher aber lesenswerter Roman. Ab und an kann es etwas langatmig werdern, doch schnell folgt wieder ein durchaus interessanter Abschnitt, der es lohnt weiterzulesen. Und was auf den ersten Blick wie eine Science Fiction-Geschichte wirkt, entpuppt sich als intelligente Gesellschaftskritik und regt zum nachdenken an. Ein tiefsinniger Roman, nichts zur kurzweilige Unterhaltung, sondern ein Buch für das man sich etwas Zeit zum lesen nehmen sollte.