Wirklich mal etwas ganz anderes

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sago Avatar

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Zunächst einmal dies: Schon allein von der Optik her hat der Dumont-Verlag hier ein wunderschönes Buch geschaffen, das auch nach dem Lesen ein echtes Schmuckstück im Regal ist. Die Zeichnung einer beinahe märchenhaft anmutenden Landschaft, in der sogar Phönixe fliegen, zieht sich über den gesamten Buchumschlag und ziert so auch den Buchrücken. Alles ist in Weiß und Rot gehalten. Normalerweise mag ich Rottöne gar nicht, aber hier handelt es sich um ein sehr sanftes, dezentes Hummerrot. Dann ist der Roman auch noch herrlich dick und kann den Leser so eine etwas längere Zeit begleiten.
Anklänge an russische Märchen hat auch die Geschichte um die Zwillinge Jarik und Dima. In ihrem Heimatort Petroplawilsk wird ein gigantisches Gewächshaus errichtet, eben das gläserne Meer aus dem Titel. Es dehnt sich immer mehr aus, verschluckt ganze Landstriche, alle Gebäude, die zu hoch sind, werden einfach gekappt. Ununterbrochen soll es produzieren und so wird es von gigantischen Spiegeln erhellt, die nachts das Sonnenlicht aus dem All heranlenken. Dunkelheit gibt es nicht mehr, und so verschwindet nach und nach auch beinahe alle Freizeit. Nur wer daran mitwirkt, das Gewächshaus weiter zu bauen, gilt etwas. Zunächst arbeiten Jarik und Dima gemeinsam dort, bis Jarik von dem dahinter stehenden Investor, dem Miliardär Basarow, quasi entdeckt und immer weiter gefördert wird. Jarik soll den Arbeitern als Leitbild dienen und vorgaukeln, auch sie könnten den Aufstieg schaffen. Beschrieben wird Basarow bei der ersten Begegnung wie der leibhaftige Teufel, und genauso führt er Jarik, der für Frau und Kinder sorgen muss, auch erfolgreich in Versuchung.
Dima hingegen war schon immr ein Träumer. Lange Zeit interessiert er sich überhaupt nicht für Frauen, sondern lebt nur für das beinahe symbiotische Verhältnis mit seinem Bruder. Er ist dem Arbeitsdruck nicht lange gewachsen und hört eines Tages ganz auf zu arbeiten. Von da an geht sein Abstieg immer weiter, Strom und Gas werden in der gemeinsam mit der Mutter bewohnten Wohnung nach und nach abgestellt, sie leben von verdorbenen Essensresten. Alles Geld, das Dima von Jarik erhält, spart er, um davon eines Tages die Datsche ihres verstorbenen Onkels zurückzukaufen und mit seinem Bruder dort wie in Kindertagen zu leben. Eher unfreiwillig wird Dima zur Leitfigur der Revolutionäre, die zum alten Leben zurückkehren wollen, und bringt später sogar einen kleinen Teil des Glashaus-Daches zum Einsturz. Seine Verwandtschaft mit Dima wird für Jarik immer gefährlicher und er muss weitere Kompromisse eingehen, um Dima zu schützen. Doch im Grunde hat er sich längst gegen seinen Bruder und ihre Herkunft entschieden.
Der Roman wirft viele Fragen auf, die auch ich mir manchmal schon gestellt habe. Ab wann ist der Preis für den Erfolg zu hoch? Ist nicht Zeit im Grunde komplett unbezahlbar? Die Brüder stehen dabei für zwei Extreme, denn so wie Dima möchten sicher die wenigsten leben.
Nur zum Ende hin hatte die Geschichte für mich leichte Längen, ansonsten hat sie mich unerwartet gefesselt. Außerdem ist dies mal ein ganz eigener Roman, der mich wirklich an keinen anderen erinnert hat. Das Ende war mir persönlich zu offen gestalten und ich hätte mir noch mehr Märchenmotive gewünscht. Das ist aber auch die einzige Kritik. Dieses Buch werde ich in sehr guter Erinnerung behalten!