Endlich wieder St. John Mandel!

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Inhalt
Vincent ist nach einer bewegten Jugend als Barkeeperin in einem Luxushotel gestrandet, in dem auch ihr Halbbruder arbeitet. Als der sehr viel ältere Investor Jonathan Alkaitis einkehrt, verändert sich ihr Leben kolossal. Sie schließen eine Vereinbarung; Sicherheit und Luxus gegen Aufmerksamkeit und eine stressfreie Beziehung. Doch dann stellt sich heraus, dass Jonathan ein Betrüger ist, der alle seine Anleger in den Ruin stürzt und selbst im Gefängnis landet. Vincent muss erneut allein in der Welt bestehen.


Meinung
Von der Autorin ist bereits der Roman „Das Licht der letzten Tage“ erschienen, der mich Anfang des Jahres begeistert hat. St. John Mandel hat eine besondere Art, ihre Geschichten zu erzählen, so dass zu hoffen ist, dass noch mehr ihrer Bücher übersetzt werden.
Wem das Cover von „Das Glashotel“ zu schlicht und langweilig ist, der wird vermutlich nicht viel Freude an der eigentlichen Story haben, zu der das Motiv hervorragend passt. Auch hier scheint über weite Strecken nichts zu passieren, dabei geschieht eine ganze Menge und das atmosphärisch so dicht geschrieben, dass es schwer ist, das Buch längere Zeit aus der Hand zu legen. Nicht, dass dieses Werk dies vertragen würde. Es will sehr aufmerksam gelesen werden, denn die Autorin flicht stetig kleine Informationen ein, die Seiten später von Nutzen sein werden. Obwohl die Story in einzelne Kapitel aufgeteilt ist, die mit Jahreszahlen überschrieben wurden, erzählt sich keine zeitlich stringente Handlung. Immer wieder werden Ereignisse erwähnt, die in der Zukunft oder bereits lange hinter den Figuren liegen. Eben diese Figuren wechseln sich stetig ab, auch wenn es mehrheitlich Vincent sein wird, aus deren Sicht erzählt wird. Vincent, die mit dreizehn Jahren die Mutter verliert, unsicher, ob diese ertrunken ist oder die Familie verlassen hat. Der Vater kann sich nicht um sie kümmern, sie gelangt zu einer Tante, die wenig Freude an ihrer Nichte findet. Ihr Halbbruder Paul, der den Anfang des Romans bestreitet, eine getriebene Persönlichkeit, verhaftet in Unsicherheit und Sucht, noch an ihrer Seite, wenn er auch stetig versucht, etwas von ihr zu bekommen. Es dauert einige Zeit, ehe die Handlung sich im Glashotel einfindet und sie verbleibt nur kurz, wie ein Zentrum, von dem alles ausgeht. Eine ans Fenster geschmierte Bosheit, Entlassungen und Vincent, die eine scheinbare Sicherheit gefunden hat. Als Luxusweibchen geht es ihr gut, aber glücklich ist sie nicht. Dennoch scheint das Leben einfach zu sein und sie glaubt, das sei allem anderen vorzuziehen.
Der Roman erzählt von Gelegenheiten im Leben, die man ergreifen kann oder nicht. Sie klopfen nicht mannigfaltig an die Tür; manchmal übersieht man sie, manchmal schlägt man sie aus, manchmal muss man sie mit unlauteren Mitteln ergreifen und manchmal sind sie einfach zu schön, um wahr zu sein. Und immer ist da das Geld. Nur wer nie welches hatte, versteht das Streben danach vermutlich nicht. Dabei ist Sicherheit im Leben eine Grundvoraussetzung, um eben dieses gut bestreiten zu können. Aber macht es auch glücklich? Am Ende hat jede Figur, auch jene, die nur kurz erwähnt wurden, ein Ende gefunden, mal so wie erwartet und meistens anders. Und Vincent, die das Leben eher an sich vorbeirauschen ließ und es oft nur durch die Linse einer Kamera ertrug. Es scheint fast vorherbestimmt, dass der Roman endet wie er begann. Emily St. John Mandel hat ein Talent dafür, alle Handlungsstränge geschickt zusammenzuführen, zu trennen, zu verwickeln und am Ende trotzdem den Überblick zu behalten. Das ist wirklich atemberaubend gut gemacht.
„Das Glashotel“ nun ist eher für Leser geeignet, die es ruhig vertragen, denen es nicht in erster Linie um spektakuläre Ereignisse oder Action geht, sondern die ganz besonders an den Figuren interessiert sind. Vieles erzählt sich auch zwischen den Zeilen und über winzige Fingerzeige, dafür sollte der Leser also etwas übrig haben.
Ein großartiger Roman, der gern weiterempfohlen wird!