Durch und durch charmant!

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singstar72 Avatar

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Der klassische Briefroman stirbt nicht aus! Das beweist Cathy Bonidan mit ihrem zweiten Roman hier eindrücklich. Es ist nachgerade zwangsläufig, dass dieser Roman aus Frankreich stammt - nicht umsonst sind ja auch die "Gefährlichen Liebschaften" in Frankreich literarisch verortet.

Nun würde ich nicht so weit gehen, Cathy Bonidan mit Choderlos de Laclos gleichzusetzen. Dennoch hat mir das Buch ausgesprochen gut gefallen! Es vereint Charme, Leichtigkeit, menschliche Schicksale, und nicht zuletzt etliche Gedanken über die Macht der Literatur.

Zuerst einmal muss ich sagen, dass das Werk auch in der Übersetzung gut lesbar ist. Ich gestehe, in die Originalversion geschaut zu haben. Zwar ist der Titel weitaus pragmatischer ("Chambre 128"), aber der muntere, quirlige Ton (besonders bei der Heldin Anne-Lise) und die sprachliche Virtuosität wurden beibehalten.

Ich finde den ganzen Aufbau schlüssig und "rund". Die Briefe wechseln zwischen einem Personal von bald einem Dutzend Personen, und zwar in nachvollziehbarem Rhythmus, über ca. ein halbes Jahr hinweg. In jedem Brief wird erklärt, was der Leser nicht wissen kann - es ist wie eine Schnitzeljagd, hat also auch Anteile eines Krimis! Fein dosiert, geht es dabei auch um menschliche Schicksale, die sich mit dem ursprünglich verlorenen Manuskript verbinden. Und nicht zuletzt auch um diverse zarte Liebesgeschichten! Insofern ist es unwiderlegbar französisch.

Nun gut, das Finale ist ein wenig zuckersüß - alle Menschen an einen Tisch zu bringen. Aber das habe ich dem Buch verziehen, da eben nicht alle Geschichten in diesem Roman, auch nicht alle Liebesgeschichten, gut ausgehen.

5 Sterne werden es schon allein deshalb, weil das Buch für mich über reine Unterhaltung hinausgeht. Ich will gerne zugestehen, dass man schon eine Ader für französischen Humor und französische Umgangsformen haben sollte. Aber die "nachdenkliche" Ebene wird so gekonnt in die Handlung geflochten, dass man es kaum bemerkt. Zudem der wunderbare Lesefluss aus nicht zu langen Briefen für einen wahren Lesesog sorgt! Ich kann nur sagen, Madame Bonidan, chapeau!