Auf der Suche nach Glück

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franzosenleser Avatar

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Was treibt einen Bestsellerautor an, über ein viertel Jahrhundert hinweg die Altpapiertonnen Wiens zu durchsuchen? Wenn man Arno Geigers Buch in die Hand nimmt, stellt man sich zwangsläufig diese Frage. Insofern ist dem preisbewehrten österreichischen Literaten mit seinem neuesten Buch, das jüngst bei Hanser erschienen ist, ein Coup gelungen.
Seine morgendlichen Streifzüge waren, für den stets monetär klammen Jungautor, anfangs eine Möglichkeit an Bücher zu kommen. Die restlichen Bücher verkauft er auf dem Flohmarkt, was ihm den Lebensunterhalt sicherte. Später sammelt er auch Notizzettel, Briefe und Tagebücher, die er mit besonderer Hingabe liest.
In Arno Geigers Romanen werden die Charaktere so tief und authentisch dargestellt, dass man das Gefühl hat, der Autor müsse die Erlebnisse selbst erlebt haben. Wie sonst kann man sonst so unterschiedliche Figuren, wie Sally (eine 50-jährige Frau in »Alles über Sally«) oder Veit (ein 23-jähriger Soldat im Krieg) so lebendig erschaffen? Das können nur wenige. Jetzt ist es raus, es war sein »glückliches Geheimnis«, das Lesen fremder Briefe und Tagebücher, die ihm eine solche Menschenkenntnis erlangen ließen. So haben die Streifzüge auf der Suche nach etwas Interessantem nicht nur den Autor, sondern auch viele Leser glücklich gemacht. Und doch, an dieser Stelle bleibt bei mir ein schaler Nachgeschmack. Bücher aus dem Altpapier ziehen ist das Eine. Aber Briefe und Tagebücher herauszusuchen und derart Privates zu lesen, das halte ich moralisch für bedenklich. Da helfen auch die Rechtfertigungen nichts, die Menschen hätten sich davon gelöst und es genau deshalb weggeworfen. Das ist ein heimliches Eindringen in die Privatsphäre anderer Menschen. Doch vielleicht ist das eine erfundene Geschichte, schließlich schreibt Geiger literarisch, also fiktiv. Wer weiß das schon.
Geigers Werk erzählt eine Geschichte, die man nicht aus der Hand legen möchte, und gibt dabei interessante Einblicke in gesellschaftliche Änderungen und tiefe Einblicke in ein Schriftstellerleben. Es wirkt fast so, als wenn der Autor nun, mit 54 Jahren, auf sein Leben zurückblickt, auf einen steinigen Weg, den er gegangen ist. Es ist, als wenn er Bilanz zieht. - nicht nur über das Schreiben, auch über sein Liebesleben. Und so ist es auch eine ungewöhnliche Liebeserklärung an K., seine Frau.
Er erzählt von den Zweifeln, ja der Verzweiflung, dem unbedingten Willen vom Schreiben zu leben, vom Glück, von Erfolgen, Rückschlägen und Niederlagen. Von Menschen, die an ihn und sein Talent glauben und denen, die es nicht tun. Auf seinen großen Durchbruch folgt der Zusammenbruch, er ist ausgebrannt. Und so ist dieses Buch fast eine Art »anderer Schreibratgeber«, eines, das man jedem schreibenden Menschen nur empfehlen kann.
Und noch etwas zeigt dieses Buch. Als der Autor mit seinen Streifzügen begann, da fanden sich viele private Notizen, Briefe und Tagebücher zwischen dem Papier. Im Laufe der Jahre wurden es weniger, die elektronische Kommunikation zog in unser Gesellschaftsleben ein. Geschriebenes wurde weniger weggeworfen, es reichte, es mit einem Mausklick zu löschen. Waren es anfangs auffallend viele Liebesromane, die im Müll landeten, so waren es später mehr Kriminalromane. Auch Archäologen suchen im Müll alter Gesellschaften um diese zu verstehen. In gewisser Weise liegt im Müll das Wissen. So ganz nebenbei hat Arno Geiger auch ein Zeitzeugnis, einer Gesellschaft im Wandel geschrieben. Und auch mit der Vergänglichkeit seines eigenen Erfolgs wird der Autor konfrontiert. Eines Tages zieht er ein abgegriffenes Exemplar seines Bestsellers »Es geht uns gut« aus dem Altpapier.

Fazit:
Ein Buch, dass zu lesen lohnt! Einfühlsam, frei von gekünstelten und theatralischen Formulierungen, erzählt Arno Geiger seine Geschichte mit starken Wortbildern. Dafür gibt’s eine klare Leseempfehlung von mir.