Die Entwicklung eines Schriftstellers

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Das glückliche Geheimnis des Arno Geiger wird gleich in den ersten Sätzen enthüllt: Ein Vierteljahrhundert machte der Autor Streifzüge durch Wien, anfangs zu Fuß, später erweitert er seinen Radius mit dem Fahrrad. Dabei wühlte er kopfüber in Altpapiercontainern, immer auf der Suche nach Verwertbarem.
Ausgelöst wurde diese Passion durch einen Zufallsfund, fünf große Kartons voller Bücher. Zu dieser Zeit war Arno Geiger ein mittelloser Student mit dem Berufswunsch Schriftsteller. Seine Funde verhalfen ihm zu Zufallslektüren, aber vor allem trugen sie zu seinem Lebensunterhalt bei. Geiger verkaufte seine „ Beute“ auf Flohmärkten und wertvollere Stücke, wie seltene Bücher, Briefmarkensammlungen oder Druckgrafiken, an Auktionshäuser. Ein Bündel lithografierter Postkarten der Wiener Werkstätten brachten ihm einmal ein halbes Jahresgehalt ein.

Arno Geiger beschränkt sich in seiner autobiographischen Erzählung nicht nur darauf, sein Geheimnis zu lüften, sondern er lässt uns auch an seinem Privatleben teilnehmen. Wie in jedem menschlichen Leben spielen Liebesglück und Liebesleid, Krankheit und Tod auch in seinem Leben eine große Rolle.
Wir lesen deshalb von seinen langjährigen Beziehungen zu M. und K. und den diversen Affären dazwischen. Einerseits diskret -er verwendet jeweils den Anfangsbuchstaben als Kürzel- andererseits sehr freimütig und offen schreibt er von Untreue, Streitereien und Beziehungskrisen. Dass seine Ehe mit K., einer Ärztin, heute so stabil und glücklich ist, liegt für den Autor in den gemeinsam durchgestandenen „ schlechten Jahren“. So vermag er auch darin etwas Positives sehen.
Es geht im Buch ebenfalls um das Verhältnis des Autors zu seinen Eltern. Die Demenzerkrankung seines Vaters, die er sehr einfühlsam in seinem Buch „ Der alte König in seinem Exil“ geschildert hat, spielt eine wesentliche Rolle, genauso wie die Beziehung zur Mutter.

Doch „ Das glückliche Geheimnis“ erzählt vor allem vom mühevollen Weg des Schriftstellers Arno Geiger, von Selbstzweifeln und einem Leben in prekären Verhältnissen und von seinen Erfahrungen im Literaturbetrieb. Seine ersten Bücher verkaufen sich schlecht; eine Lesung in Klagenfurt stößt auf wenig Resonanz. Erst mit seinem 2005 erschienenen Roman „ Es geht uns gut“ gelang ihm der Durchbruch. Das Buch erhält den erstmals verliehenen Deutschen Buchpreis. Doch der Erfolg fordert seinen Tribut, ein Burnout ist die Folge. Das „ Vater- Buch“ wird ebenfalls zu einem Bestseller; sein letzter Roman „ Unter der Drachenwand“ gilt vielen als sein bester.
Wesentlich zu seiner Entwicklung als Schriftsteller beigetragen, haben seine Funde aus dem Müll, davon ist Arno Geiger überzeugt. Hat er anfangs überwiegend Verkaufbares aus den Containern gefischt, so suchte er später ganz gezielt nach Tagebüchern und Briefen. Hierin fand Geiger das wirkliche Leben; das habe ihm eine enorme Menschenkenntnis gegeben, ein notwendiges Wissen für einen der, „ vom Leben der Menschen erzählt.“ „ Ich kenne Glück und Kummer aus zwei Jahrhunderten,… Mir ist das eine Menschliche nicht fremder als das andere.“ so heißt es im Buch. Z. B. hat Arno Geiger als Vorbereitung für seinen Roman „ Die Drachenwand“ etwa 20.000 Briefe aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs gelesen, sehr viele davon im Abfall gefunden.
Aus diesen authentischen Zeugnissen entwickelt Geiger eine Poetologie für sein Schreiben. „ Ein Künstler des Ungekünstelten“ will er sein. Und er habe, wie er überspitzt formuliert, aus Tagebüchern mehr gelernt als aus dem ganzen Proust. Doch ohne Kunst entsteht keine Literatur. Das weiß auch Arno Geiger. „Aber eine Katze, wenn sie auch zehn Kanarienvögel frisst, kann deshalb noch lange nicht singen. Es braucht eine literarische Verwandlung, eine Form, eine Sprache.“

Scham über sein „ Doppelleben“ hat Geiger oftmals empfunden, deshalb wussten davon auch nur wenige. Sein Abtauchen in Altpapiercontainern ließ sich nicht mit seinem „ Selbstbild eines souveränen Künstlers“ vereinbaren. Dass er als gefeierter Autor nie dabei erkannt wurde, verwundert ihn wenig. Wer in Müll wühlt, hat kein Ansehen. „ Und wer kein Ansehen hat, der ist unsichtbar.“

Etwaigen Vorwürfen, dass er durch das Lesen von persönlichen Briefen und Tagebüchern die Privatsphäre anderer verletzt, kommt Arno Geiger zuvor. Durch das Wegwerfen verwandelt sich das Private in Abfall und er macht daraus dann ein Dokument.

Gleichzeitig ist das Buch eine kleine Kulturgeschichte des Abfalls. Im Müll findet sich das kulturelle Gedächtnis. „ Denn in den Müll kommt, was erledigt ist, und in diesem Erledigten gibt eine Gesellschaft Auskunft über sich selbst.“
Im Verlaufe von Arno Geigers Sammlertätigkeit hat sich auch der Inhalt der Papiercontainer verändert. Fanden sich früher vermehrt Liebesromane, so sind heute die Krimis in der Überzahl, statt Zeitungen und Handschriftliches vermehrt Verpackungsmüll, statt Sexhefte Pizza- und Weinkartons.

Arno Geiger hat mit „ Das glückliche Geheimnis“ ein sehr persönliches Buch vorgelegt. Mir gefiel die Mischung aus Privatem und Essayistischem und ich habe diese kluge, unterhaltsame und selbstironische Erzählung sehr genossen. Der Autor wünscht sich, „ dass alle, die das Buch lesen, darin etwas für sie Wichtiges finden.“ Das ist ihm auf jeden Fall gelungen.