Seltsames Recycling

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aischa Avatar

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Ich gestehe: Zunächst gewann Arno Geiger mit seiner neuesten Veröffentlichung meinen Respekt. Als renommierter Schriftsteller zuzugeben, dass er jahrzehntelang die Altpapiercontainer Wiens durchsucht hat, dazu gehört Mut. Zumal er auch weiter im Dreck wühlt, nachdem seine anfängliche Motivation nicht mehr gegeben ist, nämlich Fundstücke von materiellem Wert wie Kunstpostkarten oder antiquarische Buchausgaben verkaufen zu können und sich somit in seinen prekären Anfangsjahren als Autor etwas dazu zu verdienen. Denn Geiger hortet auch entsorgte Tagebücher und Briefkonvolute und nutzt diese als Inspirationsquelle für sein literarisches Werk.

"Darf der das?" habe ich mich des Öfteren gefragt. Auch wenn das Briefgeheimnis für lange Verstorbene nicht mehr gilt, so bleibt es doch in meinen Augen zumindest moralisch fragwürdig, sich derartige Einblicke in fremde Lebensläufe zu verschaffen. Doch damit nicht genug, Geiger inszeniert sich auch noch als "Künstler des Ungekünstelten", will seine Leserschaft glauben machen, dass er sich quasi wie ein literarisches Trüffelschwein durch die Aufzeichnungen Fremder wühlt, um Kenntnis vom echten Leben zu erhalten und diese Einsichten dann seinen Leserinnen und Lesern zu präsentieren. Stellenweise gelingt dies sogar, es gibt durchaus Stellen, die zum Nachdenken anregen. ("Ein Mensch mit nur einer Seite ist ein Monster.")

Definitiv nicht dazu gehören für mich allerdings Geigers Schilderungen seines Sexuallebens in jungen Jahren. Ob er keine, eine oder sogar zwei Freundinnen gleichzeitig hatte, mit welcher er verhütete und mit welcher nicht, interessiert mich einfach nicht. Zumal es seltsam aufgesetzt wirkt, ich kann nicht erkennen, wieso Geiger diesen Episoden derart viel Raum gibt.

Ich mochte die essayistischen Betrachtungen über das Wegwerfen und Finden, über Müll als Teil des kulturellen Gedächtnisses. Aber dazwischen gibt es für meinen Geschmack zu viel belangloses Füllmaterial.