Vom Suchen und Finden im Müll

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„Das glückliche Geheimnis“ ist eine autobiografische Erzählung, die die Entwicklung des Autors vom schüchternen, ängstlichen Studenten ohne konkrete Perspektive bis zum erfolgreichen, mit vielen Preisen bedachten Schriftsteller schildert. Als junger Mann zieht Arno Geiger nach Wien mit dem vagen Ziel Schriftsteller zu werden. Er lebt dort in sehr bescheidenen Verhältnissen und entwickelt bald die Manie, regelmäßig den Papiermüll der Stadt Wien zu durchsuchen. Dies wird er mit Unterbrechungen über 25 Jahre lang praktizieren. In den ersten Jahren ist ihm die Peinlichkeit seines Tuns sehr bewusst. Er sieht sich auf einer Stufe mit den Besitz- und Wohnungslosen, die den Müll durchwühlen um zu überleben. Andererseits bedeutet es ihm viel, auf diese ungewöhnliche Weise nicht nur Bücher und gelegentlich wertvolle Druckerzeugnisse zu finden, sondern auch private Korrespondenzen, Notizen und Tagebücher ihm völlig unbekannter Personen. Aus diesen schöpft er Lebenserfahrungen, die er in seiner schriftstellerischen Tätigkeit verarbeitet, während jene ihm zur Finanzierung seines Lebensunterhalts dienen. Er teilt sein Geheimnis nur mit seiner jeweiligen Lebensgefährtin und wird meist in seinem Tun bestärkt. Dass sein geheimes Dopelleben ein glückliches ist, erschließt sich nach und nach aus seinem schriftstellerischen Erfolg, den er zu einem guten Teil auf die intensive Lektüre seiner Zufallsfunde im Wiener Müll zurückführt, ebenso wie auf die Erfahrungen, die er während seiner morgendlichen Streifzüge macht. Arno Geiger erzählt diese etwas skurrile Geschichte einer fortgesetzten Suche nach fremden Lebenszeugnissen so kurzweilig und sprachlich brillant, dass das Lesen zum Vergnügen wird. Seine Texte zu lesen ist immer ein Vergnügen, sie sind durchzogen und getragen von seinem etwas sarkastischen Humor und leben von seinen präzisen Schilderungen. Er offenbart uns persönlichste Erfahrungen, er schont weder sich noch seine Leser. Und keine Seite ohne Merksatz, mindestens. So nehmen auch die Leser seiner Texte etwas mit fürs Leben. Ganz nebenbei machen wir uns mit dem Autor Gedanken über das Leben und die Liebe, die Literatur, das Wesen des Mülls, hier des Wegwerfens als entbehrlich erachteter Papiere, und die Veränderung seiner Zusammensetzung als Folge kultureller und gesellschaftlicher Veränderungen. Auch der Autor hat sich verändert, er hat die Suche nach Zufallsfunden aufgegeben und kann nun sein „glückliches Geheimnis“ preisgeben. Steht er als Autor vor einem Neubeginn?