Intelligentes Spiel mit der Leserschaft

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christian1977 Avatar

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Irgendwann im Jahr 2027: Die Menschen auf Makatea, einer kleinen Pazifikinsel, müssen sich entscheiden: Aus den USA gibt es das Angebot, aus dem verschlafenen Eiland eine Gesellschaft der Zukunft zu machen, eine schwimmende Stadt mit hochmodernem Hafen. Hoffnungen und Zweifel halten sich die Waage. Unter den Unentschlossenen befinden sich auch die über 90-jährige Meeresforscherin Evie Beaulieu, Künstlerin Ina Aroita und ihr Mann, der Literaturfreund Rafi Young, den einst eine tiefe Freundschaft mit dem mittlerweile steinreichen IT-Nerd Todd Keane verband. Währenddessen erinnert sich der demenzkranke Keane in den USA an diese Freundschaft und ihre Anfänge. Was hat die beiden Sonderlinge einst nur auseinandergebracht?

Über eine zerbrechende Männerfreundschaft, den Einfluss der Technik auf den Menschen und die unbändige Liebe zum Ozean schreibt Richard Powers in seinem neuesten Roman „Das große Spiel“, der in der Übersetzung aus dem Amerikanischen von Eva Bonné bei Penguin erschienen ist. Im Vergleich zum Vorgänger „Erstaunen“ also ein neuer Verlag, eine neue Übersetzerin, aber immer noch die große Lust des Erzählers Powers, so aktuelle und gesellschaftsrelevante Themen wie Umweltschutz und technischen Fortschritt zu vereinen. Während Makatea und seine Bewohner:innen für den Ozean und die Natur stehen, verkörpert Todd Keane die nahezu unbegrenzten Möglichkeiten der Computertechnologie inklusive Künstlicher Intelligenz.

Dabei wechselt sich Richard Powers in den einzelnen Erzählsträngen ab, wobei Todd Keane als Ich-Erzähler in einer Art Tagebuch auf sein bewegtes Leben zurückblickt, während Makatea von einem allwissenden Erzähler beobachtet wird. Verbindendes Element zwischen beiden Welten ist die Figur Rafi Young. Auf Makatea arbeitet er mittlerweile als Pädagoge in der Inselschule, einst schaffte er als schwarzer Junge den Aufstieg in die Eliteschulen der USA, wo er sich aufgrund der gemeinsamen Leidenschaft für Brettspiele mit Todd anfreundete.

Als Leser:in braucht man auf den gut 500 Seiten des Romans durchaus einen langen Atem, denn insbesondere die Freundschaft zwischen Rafi und Todd nimmt in den Rückblicken einen großen Raum ein. Zudem nervt sie mit der Zeit ein wenig, da das Verhältnis der beiden zueinander ständig von einer aufgesetzten Coolness der Figuren begleitet ist. Stärker ist „Das große Spiel“, wenn Richard Powers sich auf seine in jedem Moment spürbare Liebe zu der Natur, in diesem Fall insbesondere zum Ozean und seinen Bewohnern konzentriert. Wenn beispielsweise die Ozeanologin Evie mit riesigen Mantarochen um die Wette schwimmt oder sich Ina Aroita gemeinsam mit ihrer Tochter um den Plastikmüll im Magen eines verendeten Albatros kümmert, setzt der Roman auch sprachlich seine auffälligsten Akzente.

Wobei die eigentliche Sensation des Romans das Finale ist. Ohne zu viel verraten zu wollen, setzt Richard Powers auch in „Das große Spiel“ wie schon in „Erstaunen“ zu einem bemerkenswerten Schlussakkord an, ja, zu einem regelrechten Paukenschlag, der einen komplett aus der Bahn wirft. Hier erhält auch der Romantitel einen doppelten oder gar dreifachen Boden. Denn neben den Spielen von Todd und Rafi und dem Spiel von Evie Beaulieu mit den Tieren des Ozeans ist es eben auch Richard Powers, der ein großes Spiel mit der Leserschaft betreibt.

Auffällig ist zudem, dass auch Powers offenbar das ewige Leben oder die Umkehrung des Todes umtreibt. Denn wie schon in der „Morgenstern“-Reihe von Karl Ove Knausgard spielt auch in diesem Buch die Theorie des russischen Philosophen Nikolai Fjodorowitsch Fjodorow eine zentrale Rolle.

Insgesamt ist „Das große Spiel“ ein lesenswerter Roman zwischen Umweltschutz und Künstlicher Intelligenz, der zwar Längen aufweist, aber spätestens mit dem großartigen letzten Viertel die Leserschaft auf seine Seite ziehen sollte.