Komplex und anspruchsvoll
Das neue Buch von Richard Powers habe ich mit Ungeduld erwartet und voller Vorfreude angefangen zu lesen. Doch während der Lektüre der gut 500 Seiten habe ich manchmal daran gedacht, aufzuhören. Die Handlung ist äußerst komplex und anspruchsvoll, da sie auf mehreren Ebenen gleichzeitig spielt, sowohl örtlich als auch zeitlich, sowie fiktional, wie sich am Schluss des Buches herausstellt.
Ein wesentlicher Handlungsstrang dreht sich um die Ozeanografin Evie Beaulieu, ihren Werdegang, ihr Leben und ihre Forschungen. Viele Szenen spielen unter Wasser. Die Fülle von faszinierenden Lebewesen und ihre Fähigkeiten werden kenntnisreich und sehr detailliert beschrieben. Der Autor kennt sich offensichtlich hervorragend aus, bzw. hat akribisch recherchiert.
Ein zweiter Handlungsstrang, optisch durch Kursivdruck hervorgehoben, wird aus der Ich-Perspektive von Todd Keane erzählt, der als IT-Spezialist von einer tückischen Demenzerkrankung dazu gebracht wird, sein Leben einem gerade neu entwickelten Computerprogramm zu erzählen. Zu seinem Werdegang und seinem geschäftlichen Erfolg gehört in besonderer Weise sein Freund Rafi Young.
Im dritten Handlungsstrang wird Rafis Aufwachsen als hochbegabtes schwarzes Kind geschildert. Sein weiteres Leben bis zum Auseinanderbrechen der Freundschaft mit Todd wird überwiegend aus der Sicht von Todd geschildert.
Ein vierter Handlungsstrang spielt auf dem Atoll Makatea, auf dem Rafi als über Fünfzigjähriger mit seiner Frau und seinen beiden adoptierten Kindern lebt, ebenso wie die mittlerweile über 90 Jahre alte Evie Beaulieu. Und auch Todd Keane wird am Ende hier landen. Allerdings ist dieser vierte Handlungsstrang KI-generiert, wie sich herausstellen wird.
Den vielen Handlungssträngen entsprechend gibt es eine Vielfalt von angesprochenen, hochaktuellen Themen: Umweltverschmutzung, Ausbeutung der Erde, Geschlechtergerechtigkeit, Artenschutz, Rassenhass und die Problematik von KI. All das sind zentrale Aspekte der Handlung, die fast zu viel sind für ein einziges Buch. Sie sind kunstvoll gegeneinander gesetzt und miteinander verbunden.
Das Buch ist eindeutig lesenswert, aber als Leser*in braucht man Geduld und Aufmerksamkeit, um den Überblick nicht zu verlieren. Am Schluss ist man von der letzten Wendung sehr überrascht.