Weniger ist manchmal mehr...

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Wie könnte ein Werbeslogan für Etzolds Erstling „Das große Tier“ aussehen?

 

„Wirtschaftskriminalität, Kirchenverschwörung, Kunstgeschichte und eine romantische Liebesgeschichte - kaufen Sie nicht 4 Bücher, Etzold bietet Ihnen komprimiert alles in nur einem Werk!“

 

Was ist es, dass Etzold in seinem offiziell als Thriller veröffentlichen Werk „Das große Tier“ dem Leser nahe bringen möchte?

 

Auch nach mehreren Wochen der Lektüre und Nachdenkens habe ich es nicht herausfinden können. Selten habe ich mich bei einem Buch damit so schwer getan. Nur die Tatsache, dass ich es von [vorablesen.de](http://vorablesen.de) geschenkt bekommen habe, hat mich mehr schlecht als recht durchhalten lassen. 

 

Zwar konnte ich problemlos mehrere Kapitel am Stück lesen, wenn ich mich einmal dazu aufgerafft hatte, doch die Motivation, zu diesem Buch zu greifen, der absolute Sog, hat sich bis zum Ende nicht eingestellt. Dabei war die Leseprobe auf [vorablesen.de](http://vorablesen.de) derart spannend geschrieben, dass sie unerwarteterweise bei mir großes Interesse geweckt hatte. Leider schlug dies jedoch schnell ins Gegenteil um. Positiv sind mir die kurzen Kapitel mit Orts- und Zeitangabe aufgefallen, die mir die Orientierung im Roman erleichterten. Dem zuwider laufen jedoch unzählige Erzählstränge mit einer Vielzahl von Personen, die erst sehr spät zueinander finden und mich als Leserin eine lange Zeit im Dunkeln tappen lassen. Ein Personenverzeichnis hätte mir hier sicherlich weitergeholfen. 

 

Sprache und Stil des Autors gefallen mir gut, bin ich doch über keinen holprigen Satzbau, Fremdwörter oder besonders unter-/überdurchschnittliche Sprache gestolpert. Ganz im Gegenteil, wenn ich mich einmal durchringen konnte weiterzulesen, geschah dies dann außerordentlich flüssig. Auch die Beschreibungen der jeweiligen Umgebung sind Etzold gelungen, konnte ich mich stets in das Szenario einfinden und die Stimmung gut nachvollziehen.

 

Dennoch hat mich das Buch mehrere Wochen „beschäftigt“ und letzten Endes bleibt ein sehr negativer Eindruck haften. Ich denke, dass ich mich als Leserin schlichtweg mit der Intention des Autors überfordert fühle. Nach der Hälfte des Buches wußte ich immer noch nicht, was mir der Autor eigentlich sagen will. Normalerweise gefallen mir zu Beginn einer Geschichte diverse Erzählstränge, die sich irgendwann in einem Großen und Ganzen treffen, insbesondere, wenn ich selber spekulieren kann, wie sich alles entwickeln wird. Dies ist mir bei dem vorliegenden Roman zu keiner Zeit gelungen.

 

Darüber hinaus haben mich einige „Zufälle“ eklatant gestört. Wenn beispielsweise der bekannte Professor Stokes aus Oxford genau dann in Berlin ist, wenn er gebraucht wird, und kurz vor seinem Abflug noch konsultiert werden kann, um mit kryptischen Worten in sein Taxi zum Flughafen zu entweichen, fühle ich mich als Leserin nicht ernst genommen. Zum einen versucht der Autor, durch eine Kombination verschiedener, anspruchsvoller Themen den Leser zu fordern, zum anderen wird dann mit solchen Unglaubwürdigkeiten gearbeitet. 

 

Ein Roman der Gegensätze, sicherlich, doch fällt es mir als Leserin außerordentlich schwer, in einem Kapitel grausam beschriebene Morde mitzuerleben, im nächsten Kapitel dann wieder hoch fundierten Erläuterungen über die antike Mythologie sowie Dantes Inferno folgen zu müssen. Kontraste, die mir deutlich zu ausgeprägt waren, und - wie ich feststellen musste - absolut nicht meinem Geschmack entsprechen.

 

Gute Ideen sowie eine fundierte Recherche sind Herrn Etzold sicher nicht abzusprechen, aber für meinen Geschmack ist das Buch schlichtweg überfrachtet. Auf knapp 500 Seiten findet der Leser ein Konglomerat von geballtem Wissen aus Wirtschaft und Kunstgeschichte vermischt mit Verschwörungstheorien und einer Prise Liebesgeschichte vor - für einen einzelnen Roman einfach zu viel! Komplexe mythologische Verschwörungstheorien treffen auf Machenschaften in der Wirtschafts- und Finanzwelt, anspruchsvolle Kapitel treffen auf Abschnitte, die den „Thriller“ unnötig in die Länge ziehen statt Spannung zu erzeugen, dazwischen sorgen diverse Szenarien wieder gänzlich anderer Art für Verwirrung und Orientierungslosigkeit beim Leser. „Der Zauberberg“ von Thomas Mann ist für mich ein wahres Meisterwerk in seiner Komplexität und Ansammlung von Themen; „Das Große Tier“ von Etzold dagegen wirkt auf mich verworren und überladen und spricht m.E. nur einen sehr eingeschränkten Kreis von Leserinnen und Lesern an. Nach der überzeugenden Leseprobe letztendlich leider ein sehr niederschmetterndes Ergebnis.