Anis und Zitrone mit einem Hauch von Weihrauch

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owenmeany Avatar

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Dass das Erkennen, Handhaben und Mischen von Aromen genau so eine Begabung und eine Ausbildung voraussetzt wie die professionelle Ausübung von Sport und Musik, ist mir erst seit der Lektüre dieses Romans klar geworden, aber vorher dachte ich einfach nicht darüber nach. In dieses zweifellos attraktive Metier Einblick zu erhalten ist schon einmal ein Mehrwert dieses Buchs, das gerade zur Musik immer wieder Bezüge herstellt einesteils mit stehenden Fachausdrücken wie Duftorgel, andererseits mit synästhetischen Vergleichen bezüglich Chansons, aber auch Farben in der bildenden Kunst, die die Sprache der Autorin in ihren besten Passagen prägen.

Dabei übt die faszinierende Landschaft der Provence ihren eigenen Zauber aus, und die Vorstellung, dass die wertvollen Ingredienzien eines Duftwassers aus gewachsenen Pflanzen gewonnen wurden, wird mir immer vor Augen stehen, wenn ich angenehme Aromen schnuppere.

Da Lambert kein Sachbuch schreiben wollte, verpackt sie ihre Informationen in eine dramatische Familiengeschichte mit tödlichen Konflikten, deren Volten mir manchmal arg an den Haaren herbeigezogen erscheinen. Dass sich die spröde Anouk so Hals über Kopf in Jean Paul verliebt, kann ich psychologisch nicht ganz nachvollziehen.

Wie die Schriftstellerin am Ende den Bogen spannt, um die genetische Herkunft der dem Leben der Heldin ein Ziel setzenden Begabung zu erklären, kommt mir einerseits ein bisschen konstruiert vor, andererseits befriedigt es die Leserin durchaus, den Kreis so evident geschlossen zu sehen.

Man erfährt Interessantes über Land, Leute und Zeit - Grund genug, diesem Titel seine Aufmerksamkeit zu widmen.